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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Operngenre überhaupt stehen. Ich spreche zunächst von den Dichtungen , weil in ihnen nicht nur das Band meiner Kunst mit meinem Leben am offensten vorliegt, sondern auch weil ich an ihnen deutlich zu machen habe, daß meine musikalische Ausführung, meine Opernkompositionsweise, eben aus dem Wesen dieser Dichtungen sich bedang.
    Die Widersprüche, deren ich hier gedenke, sind allerdings für Denjenigen gar nicht vorhanden, der sich gewöhnt hat, eine Erscheinung nicht anders, als auch nach ihrer Entwickelung in der Zeit zu beobachten. Wer bei der Beurtheilung einer Erscheinung auch diese Entwickelung in Betracht zieht, dem können Widersprüche nur dann aufstoßen, wenn sie eine von Raum und Zeit losgelöste, unnatürliche, unvernünftige ist: das Moment der Entwickelung aber ganz außer Acht lassen, die in der Zeit getrennten und wohl unterschiedenen Phasen derselben in eine unterschiedslose Masse zusammenfassen, heißt jedoch selbst eine unnatürliche, unvernünftige Anschauungsweise, und sie kann nur unserer monumental-historischen Kritik zu eigen sein, nicht der gesunden Kritik des theilnehmenden, empfindenden Herzens. An diesem kritiklosen Gebaren unserer heutigen Kritik ist unter anderem eben der Standpunkt schuld, von dem aus sie Alles nach dem monumentalen Maßstabe beurtheilt: für sie stehen die Künstler und die Werke aller Zeiten und Völker neben und untereinander da, und die Unterschiede zwischen ihnen gelten ihr nur als kunsthistorische, nach der abstrakten Jahreszahl zu berichtende und zu berichtigende, nicht als lebendig und warm zu empfindende; denn bei wirklicher Empfindung muß uns die gleichzeitige Wahrnehmung derselben eine geradesweges unerträgliche sein, ungefähr so peinlich unangenehm, wie wenn wir in einer Musikaufführung S. Bach neben Beethoven hören. Auch in Bezug auf mich haben Kritiker, die sich den Anschein gaben mein Kunstwirken im Zusammenhange zu beurtheilen, mit dieser unkritischen Unachtsamkeit und Gefühllosigkeit verfahren: Ansichten, die ich über das Wesen der Kunst von einem Standpunkte aus kundgebe, den ich durch allmähliche, stufenweise Entwickelung mir erst gewonnen, beziehen sie, als für ihre Beurtheilung maaßgebend, rückwärts auf das Wesen der künstlerischen Arbeiten, in welchen ich eben den natürlichen Entwickelungsgang nahm, der mich zu jenem Standpunkte führte. Wenn ich z. B. – eben nicht vom Standpunkte der abstrakten Ästhetik, sondern von dem des erfahrenen Künstlers aus – das christliche Prinzip als kunstfeindlich oder kunstunfähig bezeichne, so zeigen jene Kritiker mir den Widerspruch, in dem ich mich mit meinen früheren dramatischen Arbeiten befände, die allerdings von einer gewissen, der modernen Entwickelung unausweichlich eigenthümlichen Wesenheit des christlichen Prinzipes erfüllt sind; keinesweges fällt ihnen aber ein, daß, wenn sie den neugewonnenen Standpunkt mit dem verlassenen älteren vergleichen, dieß eben zwei wesentlich verschiedene, jedoch folgerichtig auseinander entwickelte seien, und daß viel eher der neue Standpunkt aus dem älteren zu erklären , als dieser verlassene von dem betretenen aus zu beurtheilen gewesen wäre. Im Gegentheile: da sie von dem neuen Standpunkte aus in meinen älteren Arbeiten, die sie als von diesem Standpunkte aus entworfen und ausgeführt anzusehen für gut finden, eine Inkonsequenz, einen Widerspruch gegen jene Ansichten, erblicken müssen, treffen sie gerade auch hierin den besten Beweis für die Irrigkeit dieser Ansichten, denen ich selbst in der künstlerischen Praxis ja widerspräche; und somit schlagen sie auf die müheloseste Weise von der Welt zwei Fliegen mit einem Schlage, indem sie meine künstlerische wie theoretische Thätigkeit als den Akt eines unkritisch gebildeten, konfusen und extravaganten Kopfes bezeichnen. Das, was sie selbst so zu Werke bringen, nennen sie aber in Wahrheit »Kritik«, und noch dazu aus der »historischen« Schule!–
    Ich habe hier einen wesentlichen Punkt der oben gemeinten Widersprüche berührt: ich hätte ihn, da ich mich jetzt nur meinen Freunden mittheilen will, vielleicht gänzlich unbeachtet lassen können, weil in Wahrheit jemand mein Freund nur dann sein kann, wenn er jenen Widerspruch als einen nur scheinbaren sich selbst zu erklären vermag. Diese Selbsterklärung ist jedoch unendlich erschwert durch die lückenhafte und unvollständige Weise, in der gerade ich auch meinen Freunden selbst mich mittheilen kann. Der eine hat diese, der andere

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