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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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eigentlichen Absicht erwachsen: er muß Dramen für die Lektüre schreiben. Da aber gerade das Drama nur in seiner vollsten sinnlichen Erscheinung erst zum Kunstwerke wird, so muß er endlich, um seiner Hauptrichtung nicht gänzlich zu entsagen, mit einer unvollkommenen Verwirklichung seiner Absicht sich begnügen.
    Seine Absicht wäre aber auch dann erst vollkommen verwirklicht, wenn er sie nicht nur von der Szene herab ganz entsprechend ausgedrückt sähe, sondern wenn dieß zugleich zu einer bestimmten Zeit, unter bestimmten Umständen, und an eine bestimmte, dem Dichter in irgend welcher Beziehung verwandte Zuschauerversammlung geschähe. Eine dichterische Absicht, die ich unter bestimmten Verhältnissen und Umgebungen faßte, hat ihre ganz entsprechende Wirkung nur, wenn ich sie unter denselben Verhältnissen und an dieselbe Umgebung mittheile: nur dann kann diese Absicht ohne Kritik verstanden, ihr rein menschlicher Inhalt empfunden werden, nicht aber wenn alle diese lebengebenden Bedingungen geschwunden sind und die Verhältnisse sich geändert haben. Wenn z. B. vor der ersten französischen Revolution unter einer ganzen Gattung frivolgenußsüchtiger Menschen die Stimmung vorhanden war, in der ein Don Juan die allerbegreiflichste Erscheinung, den wahren Ausdruck dieser Stimmung ausmacht; wenn dieser Typus von Künstlern erfaßt und in letzter Verwirklichung durch einen Darsteller uns vorgeführt wurde, der in seinem ganzen Naturell so für die Persönlichkeit eines Don Juan sich eignete, wie z. B. auch die italienische Sprache sich eignet, dieser Persönlichkeit einen entsprechenden Ausdruck zu geben, – so war die Wirkung einer solchen Darstellung zu jener Zeit gewiß eine ganz bestimmte und unzweifelhafte auf das Gefühl. Wie steht es nun aber, wenn heute, vor dem gänzlich veränderten, börsengeschäftlichen oder geheimregierungsräthlichen Publikum der Gegenwart, und von einem Darsteller, der gern Kegel schiebt und Bier trinkt, und dadurch aller Verführung entgeht, seiner Frau untreu zu werden, derselbe Don Juan gespielt, und noch dazu in deutscher Sprache und in einer Übersetzung vorgeführt wird, in der jede Spur des italienischen Sprachcharakters verwischt werden mußte? Wird dieser Don Juan nicht mindestens ganz anders verstanden, als es die Absicht des Dichters war, und ist dieses ganz andere im besten Falle nur durch die Kritik vermittelte Verständniß nicht in Wahrheit gar kein Verständniß des Don Juan mehr? Oder vermögt Ihr eine schöne Gegend zu genießen, wenn Ihr sie bei finsterer Nacht seht?
    Bei der zufälligen und zersplitterten Weise, wie der Künstler jetzt vor das Publikum gelangt, muß er gerade um so unverständlicher werden, je mehr die künstlerische Absicht, der sein Werk entsprang, einen wirklichen Zusammenhang mit dem Leben hat; denn eine solche Absicht kann nicht eine zufällige, aus ästhetischer Willkür allgemeinhin gefaßte, abstrakte sein, sondern zu künstlerischer Erscheinungskraft reift sie nur dann, wenn sie durch Zeit und Umstände zu besonderer charakteristischer Individualität sich gestaltet. Kann die Verwirklichung einer solchen Absicht nur dann einen entsprechenden Erfolg haben, wenn sie noch bei voller Wärme der Verhältnisse, die sie im Dichter geboren, und vor denen, die bewußt oder unbewußt in diesen Verhältnissen mitbetheiligt waren, zur Erscheinung kommt, so muß nun der Künstler, der sein Werk als monumentales behandelt sieht, das gleichgiltig zu jeder beliebigen Zeit oder vor jeder beliebigen Öffentlichkeit vorgeführt wird, jeder denkbaren Gefahr des Mißverständnisses ausgesetzt sein; und einzig an Diejenigen kann er sich dann halten, die in ihrer Sympathie für ihn überhaupt auch diese seine Stellung begreifen , und durch ihren Antheil an seinem Streben , das sie namentlich auch in eben dieser seiner Stellung unendlich erschwert finden, in selbstschöpferischer Freiwilligkeit die Fülle von ermöglichenden Bedingungen ihm ersetzen , die seinem Kunstwerke von der Wirklichkeit versagt sind. – Diese mitfühlenden und mitschöpferischen Freunde sind es also einzig, denen es mich hier mitzutheilen mich drängt.
    Ihnen, denen ich mich nie so mittheilen konnte, wie es mein einziger Wunsch wäre mich ihnen mittheilen zu können, habe ich nun, um mich ihnen vollkommen verständlich zu machen, die Widersprüche zu erklären, in denen meine bis jetzt dem Publikum vorgeführten Operndichtungen zu meinen neuerdings ausgesprochenen Ansichten über das

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