Auswahl seiner Schriften
jene meiner dramatischen Arbeiten sich vorführen gesehen, wie es eben der Zufall fügte; seine Neigung für mich entstand gerade aus dem Bekanntwerden mit diesem einen Werke; auch dieses kam ihm wohl nur unvollkommen zur Erscheinung; aus seinem eigenen Wesen und Streben hatte er viel zu ergänzen, und einen vollen Genuß konnte er am Ende nur dadurch gewinnen, daß er zu einem vielleicht oft überwiegend großen Theile sich selbst, sein eigenes Dichten und Trachten, in den genußspendenden Gegenstand mit hineinlegte. Hier kommt aber der Punkt, wo wir vollkommen uns klar werden müssen: meine Freunde müssen mich ganz sehen, um sich zu erklären, ob sie mir ganz Freunde sein können. Ich kann nichts halb abgemacht lassen wollen; ich kann nicht zugeben, daß, was Nothwendigkeiten in meiner Entwickelung waren, Gutmüthigen als Zulässigkeiten erscheinen dürfen, die sie, je nach dem Grade ihrer Neigung, sich zu meinen Gunsten deuten könnten.
Anmerkung des Herausgebers: 8) Noch heute sind diese Worte an viele Tausende gerichtet, ja wohl noch immer an die ungeheure Mehrzahl all jener, »die Wagner lieben«. Das »ich kann nichts halb abgemacht lassen wollen u. s. w.« gilt nämlich nicht nur für die, welche »nur bis zu Lohengrin mitgehen«, es gilt ebenso für die, welche nur den »Musiker«, nicht den »Dichter«, ebenso für die, welche nur den »Künstler«, nicht den »Schriftsteller« und »Menschen« Wagner beachten wollen. Man wird endlich begreifen müssen, daß dies eine absolut neue, in keine all dieser Rubriken einzureihende, große Kulturerscheinung ist, kein »Musiker« und kein »Dichter«, und daß diese Kulturerscheinung nur als Ganzes begriffen werden kann.
Gerade also auch an meine Freunde wende ich mich, um ihnen volle Aufklärung über meinen Entwickelungsgang zu geben, wobei auch jene scheinbaren Widersprüche vollständig gelöst werden müssen.
Hierzu will ich aber nicht auf dem Wege eines abstrakt kritischen Verfahrens zu gelangen suchen, sondern meinen Entwickelungsgang mit der Treue, wie ich ihn jetzt zu überblicken vermag, an meinen Arbeiten und an den Lebensstimmungen, die sie hervorriefen, fortschreitend – nicht in abstrakter Allgemeinheit Alles auf einen Haufen werfend – nachweisen.
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Von meinen frühesten künstlerischen Arbeiten werde ich kurz zu berichten haben: sie waren die gewöhnlichen Versuche einer noch unentwickelten Individualität, sich gegen das Generelle der Kunsteindrücke, die uns von Jugend auf bestimmen, im allmählichen Wachsthume zu behaupten. Der erste künstlerische Wille ist nichts Anderes, als die Befriedigung des unwillkürlichen Triebes der Nachahmung Dessen, was am einnehmendsten auf uns wirkt.–
Wenn ich mir das künstlerische Vermögen am besten zu erklären suche, so kann ich dies nicht anders, als wenn ich es zunächst in die Kraft des Empfängnißvermögens setze. Den unkünstlerischen, politischen Charakter mag es auszeichnen, daß er von Jugend auf den äußeren Eindrücken einen Rückhalt entgegensetzt, der sich im Laufe der Entwickelung bis zur Berechnung des persönlichen Vortheiles, den ihm sein Widerstand gegen die Außenwelt bringt, bis zur Fähigkeit, diese Außenwelt rein nur auf sich, sich selbst aber nie auf sie zu beziehen, steigert. Den künstlerischen, unpolitischen Charakter bestimmt jedenfalls das Eine, daß er sich rückhaltslos den Eindrücken hingiebt, die sein Empfindungswesen sympathetisch berühren. Gerade aber die Macht dieser Eindrücke mißt sich wieder nach der Kraft des Empfängnißvermögens, das nur dann die Kraft des Mittheilungsdranges gewinnt, wenn es bis zu einem entzückenden Übermaaße von den Eindrücken erfüllt ist. In der Fülle dieses Übermaaßes liegt die künstlerische Kraft bedingt, denn sie ist nichts Anderes als das Bedürfniß, das überwuchernde Empfängniß in der Mittheilung wieder von sich zu geben. Nach zwei Richtungen hin äußert sich diese Kraft, je nachdem sie nur von künstlerischen Eindrücken, oder endlich auch von den Eindrücken des Lebens selbst angeregt war. Das, was den Künstler als solchen zuerst bestimmt, sind jedenfalls die rein künstlerischen Eindrücke; wird seine Empfängnißkraft durch sie vollständig absorbirt, so daß die später zu empfindenden Lebenseindrücke sein Vermögen bereits erschöpft finden, so wird er sich als absoluter Künstler nach der Richtung hin entwickeln, die wir als die weibliche, d. h. das weibliche Element der Kunst allein in sich
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