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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Namen wir diejenige künstlerische Kraft bezeichnen zu müssen glauben, die der Zucht des Staates und des herrschenden Dogma's, sowie der trägen Mitwirkung an der Aufrechthaltung zerfallender künstlerischer Formen sich entziehen, um neue Richtungen einzuschlagen und mit dem Inhalte ihres Wesens zu beleben. Betrachten wir näher, so finden wir aber, daß diese neuen Richtungen durchaus keine willkürlichen und dem Einzelnen allein eigenthümlichen, sondern nur Fortsetzungen einer längst bereits eingeschlagenen Hauptrichtung sind, in der sich vor und gleichzeitig neben dem Einzelnen eine gemeinsame, in unendlich mannigfache und vielfältige Individualitäten gegliederte Kraft ergoß, deren nothwendiger, bewußter oder unbewußter Trieb eben die Vernichtung jener Formen durch Bildung neuer Lebens- und Kunstgestaltungen war. Gerade auch hier sehen wir daher eine gemeinsame Kraft, die in ihrer einzig ermöglichenden Wirksamkeit die individuelle Kraft, die wir blödsinnig bisher mit der Bezeichnung »Genie« ergründet zu haben glaubten, als solche in sich schließt und, nach den modernen Begriffen von ihr, geradesweges aufhebt. Allerdings ist wiederum jene gemeinsame, kommunistische Kraft nur dadurch vorhanden, daß sie in der individuellen Kraft vorhanden ist; denn sie ist in Wahrheit nichts Anderes, als die Kraft der rein menschlichen Individualität überhaupt: die endlich zur Erscheinung kommende Form ist aber keinesweges, wie wir es oberflächlich betrachten, das Werk der einzelnen Individualität, sondern diese nimmt an dem gemeinsamen Werke, nämlich der sinnlichsten Offenbarung einer vorhandenen Möglichkeit durch deren Verwirklichung, nur vermöge der einen Wesenheit ihrer Kraft Anteil, die ich oben bereits bezeichnete, und die ich in ihrer triebthätigsten Eigenschaft jetzt noch genauer bestimmen will. Ein mythischer Zug, den ich – trotz der Vermahnungen der historisch-politischen Schule an mich – anführe, wird dieß statt meiner Definition thun.
    Das schöne Meerweib Wachhilde hatte dem König Wiking ein Söhnlein geboren: dem nahten die drei Nornen, um ihm Gaben zu verleihen. Die erste Norn verlieh ihm Leibesstärke, die zweite Weisheit, und der erfreute Vater führte die beiden dankend zum Hochsitze neben sich: die dritte aber verlieh dem Söhnlein »den nie zufried'nen Geist, der stets auf Neues sinnt«. Den Vater erschreckte diese Gabe, und er versagte der jüngsten Norn den Dank: entrüstet hierüber nahm diese, zur Strafe des väterlichen Undankes, ihre Gabe zurück. Nun erwuchs der Sohn zu großer Länge und Stärke, und was nur zu wissen war, das wußte er bald. Nie aber empfand er den Trieb zum Thun und Schaffen, er war mit jeder Lage seines Lebens zufrieden, und fand sich in Alles. Nie liebte er, noch haßte er aber auch: weil er nun gerade ein Weib bekam, so zeugte er auch einen Sohn, und that den zu kundigen Zwergen in die Lehre, damit er 'was Rechtes lerne, – und dieser Sohn war jener Wieland, den die Noth einst lehren sollte sich Flügel zu schmieden. Der Alte aber ward bald zum Spott der Leute und Kinder, weil Jeder ihn necken durfte, ohne daß es ihn aufbrachte; denn er war ja so weise zu wissen, daß Leute und Kinder gern necken und spotten: nur wenn man ihm gegen seine Mutter etwas vorbrachte, ward er empfindlich; auf sie wollte er nichts kommen lassen. Kam er an den Meeressund, so fiel es ihm nicht ein, ein Schiff zu bauen, um darüber zu setzen, sondern, so lang er nun eben war, watete er hinein: daher nannte ihn auch das Volk »Wate«. Einst wollte er sich nach seinem Söhnlein erkundigen, ob das in der Lehre gut thäte und ordentlich lernte: er fand das Felsentor zur Höhle der Zwerge verschlossen, denn diese hatten Übles mit dem Kinde im Sinne, und wollten der Ankunft des Alten wehren; keine Sorge kam ihm aber an, denn er war immer zufrieden; er setzte sich am Eingange nieder und schlief ein. Von seinem starken Schnarchen erdröhnte ein Felsstück, das über seinem Haupte hing, so daß es auf ihn herabstürzte und ihn tödtete. Das war das Leben des starken und weisen Riesen Wate: zu ihm hatte Wiking's Vatersorge den Sohn des wonnigen Meerweibes Wachhilde erzogen, und so wirst du bis auf den heutigen Tag erzogen, mein deutsches Volk!
    Die eine verschmähte Gabe: »der nie zufried'ne Geist, der stets auf Neues sinnt«, bietet uns Allen bei unserer Geburt die jugendliche Norn an, und durch sie allein könnten wir einst alle »Genie's« werden; [Fußnote: Über diese Behauptung

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