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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Meerestiefe seines Elendes aufsehnte; das Weib, das dem »Tannhäuser« aus den Wohllusthöhlen des Venusberges als Himmelsstern den Weg nach Oben wies, und das nun aus sonniger Höhe Lohengrin hinab an die wärmende Brust der Erde zog. –
    Lohengrin suchte das Weib, das an ihn glaubte : das nicht früge, wer er sei und woher er komme, sondern ihn liebte, wie er sei, und weil er so sei, wie er ihm erschiene. Er suchte das Weib, dem er sich nicht zu erklären, nicht zu rechtfertigen habe, sondern das ihn unbedingt liebe . Er mußte deßhalb seine höhere Natur verbergen, denn gerade eben in der Nichtaufdeckung, in der Nichtoffenbarung dieses höheren – oder richtiger gesagt: erhöhten – Wesens konnte ihm die einzige Gewähr liegen, daß er nicht um dieses Wesens willen nur bewundert und angestaunt, oder ihm – als einem Unverstandenen – anbetungsvoll demüthig gehuldigt würde, wo es ihn eben nicht nach Bewunderung und Anbetung, sondern nach dem Einzigen, was ihn aus seiner Einsamkeit erlösen, seine Sehnsucht stillen konnte, – nach Liebe , nach Geliebtsein , nach Verstandensein durch die Liebe , verlangte. Mit seinem höchsten Sinnen, mit seinem wissendsten Bewußtsein, wollte er nichts Anderes werden und sein, als voller, ganzer, warmempfindender und warmempfundener Mensch, also überhaupt Mensch , nicht Gott, d. h. absoluter Künstler. So ersehnte er sich das Weib, – das menschliche Herz. Und so stieg er herab aus seiner wonnig öden Einsamkeit, als er den Hilferuf dieses Weibes, dieses Herzens, mitten aus der Menschheit da unten vernahm. Aber an ihm haftet unabstreifbar der verrätherische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Gemeinheit, das Geifern des Neides, wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes; Zweifel und Eifersucht bezeugen ihm, daß er nicht verstanden , sondern nur angebetet wurde, und entreißen ihm das Geständniß seiner Göttlichkeit, mit dem er vernichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt.– Es mußte mir damals, und muß mir selbst heute noch schwer begreiflich erscheinen, wie das Tieftragische dieses Stoffes und dieser Gestalt unempfunden bleiben, und der Gegenstand dahin mißverstanden werden konnte, daß Lohengrin eine kalte, verletzende Erscheinung sei, die eher Widerwillen, als Sympathie zu erwecken vermöge. Dieser Einwurf ward mir zuerst gemacht von einem mir befreundeten Manne, dessen Geist und Wissen ich hochschätze. An ihm machte ich jedoch zunächst eine Erfahrung, die in der Folge sich mir wiederholt hat, nämlich die, daß beim unmittelbaren Bekanntwerden mit meiner Dichtung nichts Anderes als ein durchaus ergreifender Eindruck sich kundthat, und jener Einwurf sich erst dann einfand, wenn der Eindruck des Kunstwerkes sich verwischte, und der kälteren, reflektirenden Kritik Platz machte. [Fußnote: Dieß bezeugt mir neuerdings wieder ein geistreicher Berichterstatter, der während der Aufführung des Lohengrin in Weimar – nach seinem eigenen Geständnisse – keinen Anlaß zur Kritik erhielt, sondern ungestört einem ergreifenden Genusse hingegeben war. Der Zweifel, der ihm nachher entstand, ist zu meiner Freude und liebsten Rechtfertigung, dem wirklichen Künstler zu keiner Zeit angekommen: dieser konnte mich ganz verstehen, was dem kritischen Menschen unmöglich war.] Somit war dieser Einwurf nicht ein unwillkürlicher Akt der unmittelbaren Herzensempfindung, sondern ein willkürlicher der vermittelten Verstandesthätigkeit. Ich fand an dieser Erscheinung daher das Tragische des Charakters und der Situation Lohengrin's als eine im modernen Leben tief begründete bestätigt: sie wiederholte sich an dem Kunstwerke und dessen Schöpfer ganz so, wie sie am Helden dieses Gedichtes sich darthat. Den Charakter und die Situation dieses Lohengrin erkenne ich jetzt mit klarster Überzeugung als den Typus des eigentlichen einzigen tragischen Stoffes, überhaupt der Tragik des Lebenselementes der modernen Gegenwart , und zwar von der gleichen Bedeutung für die Gegenwart , wie die »Antigone« – in einem allerdings anderen Verhältnisse – für das griechische Staatsleben es war. [Fußnote: Gerade wie meinem Kritiker, mochte es nämlich dem athenischen Staatsmanne ergehen, der unter dem unmittelbaren Eindrucke des Kunstwerkes unbedingt für Antigone sympathisirte, am anderen Tage in der Gerichtssitzung gewiß aber selbst sein staatliches Todesurtheil über die menschliche Heldin aussprach.] über

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