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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Todesurtheil, als der menschentödtliche Glanz seiner göttlichen Erscheinung die Geliebte vernichtet. – Hatte etwa Priesterbetrug diesen Mythos gedichtet? Wie thöricht, von der staatlich-religiösen, kastenhaft eigensüchtigen Ausbeutung des edelsten menschlichen Verlangens auf die Gestaltung und wirkliche Bedeutung der Gebilde zurückschließen zu wollen, die einem Wahne entblühten, der den Menschen eben erst zum Menschen machte! Kein Gott hatte die Begegnung des Zeus und der Semele gedichtet, sondern der Mensch in seiner allermenschlichsten Sehnsucht. Wer hatte den Menschen gelehrt, daß ein Gott in Liebesverlangen nach dem Weibe der Erde entbrenne? Gewiß nur der Mensch selbst, der auch dem Gegenstande seiner eigenen Sehnsucht, möge sie noch so hoch hinaus über die Grenzen des irdisch ihm Gewohnten gehen, nur das Wesen seiner rein menschlichen Natur einprägen kann. Aus den höchsten Sphären, in die er durch die Kraft seiner Sehnsucht sich zu schwingen vermag, kann er endlich doch wiederum nur das Reinmenschliche verlangen, den Genuß seiner eigenen Natur als das Allerersehnenswertheste begehren. Was ist nun das eigenthümlichste Wesen dieser menschlichen Natur, zu der die Sehnsucht nach weitesten Fernen sich, zu ihrer einzig möglichen Befriedigung, zurückwendet? Es ist die Nothwendigkeit der Liebe , und das Wesen dieser Liebe ist in seiner wahresten Äußerung Verlangen nach voller sinnlicher Wirklichkeit , nach dem Genusse eines mit allen Sinnen zu fassenden, mit aller Kraft des wirklichen Seins fest und innig zu umschließenden Gegenstandes. Muß in dieser endlichen, sinnlich gewissen Umarmung der Gott nicht vergehen und entschwinden? Ist der Mensch, der nach dem Gotte sich sehnte , nicht verneint, vernichtet? Ist die Liebe in ihrem wahresten und höchsten Wesen somit nicht aber offenbar geworden? – Bewundert, Ihr hochgescheuten Kritiker, das Allvermögen der menschlichen Dichtungskraft, wie es sich im Mythos des Volkes offenbart! Dinge, die Ihr mit Eurem Verstande nie begreifen könnt, sind in ihm, mit einzig so zu ermöglichender , für das Gefühl deutlich greifbarer, sinnlich vollendeter Gewißheit dargethan. –
    Das ätherische Gebiet, aus dem der Gott herab nach dem Menschen sich sehnt, hatte durch die christliche Sehnsucht sich in die undenklichsten Fernen ausgedehnt. Dem Hellenen war es noch das wolkige Reich des Blitzes und des Donners, aus dem der lockige Zeus sich herabschwang, um mit kundigem Wissen Mensch zu werden: dem Christen zerfloß der blaue Himmel in ein unendliches Meer schwelgerisch sehnsüchtigen Gefühles, in dem ihm alle Göttergestalten verschwammen, bis endlich nur sein eigenes Bild, der sehnsüchtige Mensch, aus dem Meere seiner Phantasie ihm entgegentreten konnte. Ein uralter und mannigfach wiederholter Zug geht durch die Sagen der Völker, die an Meeren oder an meermündenden Flüssen wohnten: auf dem blauen Spiegel der Wogen nahte ihnen ein Unbekannter von höchster Anmuth und reinster Tugend, der Alles hinriß und jedes Herz durch unwiderstehlichen Zauber gewann; er war der erfüllte Wunsch des Sehnsuchtsvollen, der über dem Meeresspiegel, in jenem Lande, das er nicht erkennen konnte, das Glück sich träumte. Der Unbekannte verschwand wieder, und zog über die Meereswogen zurück, sobald nach seinem Wesen geforscht wurde. Einst, so ging die Sage, war, von einem Schwane im Nachen gezogen, im Scheldelande ein wonniger Held vom Meere her angelangt: dort habe er die verfolgte Unschuld befreit, und einer Jungfrau sich vermählt; da diese ihn aber befrug, wer er sei und woher er komme, habe er wieder von ihr ziehen und Alles verlassen müssen. – Warum diese Erscheinung, als sie mir in ihren einfachsten Zügen bekannt ward, mich so unwiderstehlich anzog, daß ich gerade jetzt, nach der Vollendung des Tannhäuser, nur noch mit ihr mich befassen konnte, dieß sollte durch die nächstfolgenden Lebenseindrücke meinem Gefühle immer deutlicher gemacht werden. –
    Mit dem fertigen Entwurfe zu der Dichtung des Lohengrin kehrte ich nach Dresden zurück, um den Tannhäuser zur Aufführung zu bringen. Mit großen Hoffnungen von Seiten der Direktion, und mit nicht unbedeutenden Opfern, die sie der gewünschten Erfüllung dieser Hoffnungen brachte, ward diese Aufführung vorbereitet. Das Publikum hatte mir in der enthusiastischen Aufnahme des Rienzi, und in der kälteren des fliegenden Holländers deutlich vorgezeichnet, was ich ihm bieten müßte, um es zufrieden zu stellen.

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