Auswahl seiner Schriften
der Beethoven'schen Symphonie sehr glücklich; es war mir, als ob ich eine wunderbare Verwandtschaft unter beiden Kompositionen gefunden hätte; in beiden ist das klare menschliche Bewußtsein einer zum freudigen Genuß bestimmten Existenz auf eine schöne und verklärende Weise mit der Ahnung des Höheren, Überirdischen verwebt. Nur den Unterschied möchte ich machen, daß in Mozart's Musik die Sprache des Herzens sich zum anmuthigen Verlangen gestaltet, während in Beethoven's Auffassung das Verlangen selbst in kühnerem Muthwillen nach dem Unendlichen greift. In Mozart's Symphonie herrscht das Vollgefühl der Empfindung vor, in der Beethoven'schen das muthige Bewußtsein der Kraft.«
»Wie gern«, – erwiderte mein Freund, – »höre ich dergleichen Ansichten über das Wesen und die Bedeutung so erhabener Instrumentalwerke aussprechen! Ich bin zwar weit entfernt zu glauben, Du habest mit Deinem in aller Kürze soeben hingeworfenen Ausspruch das Wesen jener Schöpfungen ergründet; dieß zu ergründen, geschweige gar es auszusprechen, liegt aber gewiß ebenso wenig in der menschlichen Sprache, als es im Wesen der Musik liegt, klar und bestimmt Dasjenige auszudrücken, was dem Organ des Dichters ausschließlich angehört. Es ist ein Unglück, daß sich so viele Leute durchaus die unnütze Mühe geben wollen, die musikalische und die dichterische Sprache mit einander zu vermengen, und durch die eine Das zu ergänzen oder zu ersetzen, was ihrer beschränkten Ansicht nach in der andern unvollständig bleibt. Es bleibt ein- für allemal wahr: da wo die menschliche Sprache aufhört, fängt die Musik an. Nichts ist nun unleidlicher, als die abgeschmackten Bilder und Geschichtchen, die man jenen Instrumentalwerken zu Grunde legt. Welche Armuth an Geist und Gefühl verräth es doch, wenn ein Zuhörer der Aufführung einer Beethoven'schen Symphonie seine Theilnahme dafür nur dadurch rege zu erhalten im Stande ist, daß er in dem Strome der musikalischen Ergüsse sich die Handlung irgend eines Romanes wiedergegeben vorstellt. Diese Leute sehen sich dann oft veranlaßt, mit dem hohen Meister zu grollen, wenn sie durch einen unerwarteten Streich in dem wohlgeordneten Fortgange ihres untergelegten Histörchens gestört werden; sie werfen dem Komponisten dann Unklarheit und Zerrissenheit vor, und beklagen sich über Mangel an Zusammenhang! – O ihr Tröpfe!«
»Laß das gut sein!« versetzte ich. »Laß einen Jeden nach dem Maßstabe seiner höheren oder geringeren Einbildungskraft sich Vorstellungen und Bilder zusammensetzen, mit deren Hülfe es ihm einzig vielleicht möglich ist, an diesen großen musikalischen Offenbarungen Geschmack zu finden, da ohne ein solches Hülfsmittel so Viele außer Stand gesetzt wären, selbst ihren Kräften nach dieselben zu genießen. Immerhin wirst Du wenigstens gestehen müssen, daß die Zahl der Verehrer unseres Beethoven auf diese Weise eine starke Vermehrung erhalten hat, ja, daß zu hoffen, die Werke des großen Meisters würden auf solchem Wege zu einer Popularität gelangen, die ihnen unmöglich zu Theil werden konnte, wenn sie durchaus nur im idealen Sinne zu verstehen wären.«
»O, um des Himmels willen!« rief R ... aus. – »Willst Du auch für diese erhabensten Heiligthümer der Kunst jene banale Popularität reklamiren, die der Fluch alles Edlen und Herrlichen ist? Willst Du etwa auch für sie die Ehre in Anspruch nehmen, daß man nach den begeisternden Rhythmen, in denen sich ihre zeitliche Erscheinung zu erkennen giebt, in einer Dorfschenke tanze?«
»Du übertreibst!« antwortete ich mit Ruhe. »Ich fordere für Beethoven's Symphonien nicht den Ruhm der Straßen und Dorfschenken! Solltest Du es ihnen aber nicht zum Verdienste anrechnen, wenn sie im Stande wären, auch dem engeren, gedrückteren Herzen des gewöhnlichen Weltmenschen eine freudigere Wallung des Blutes zu erregen?«
»Sie sollen kein Verdienst haben, diese Symphonien!« erwiderte mein Freund ärgerlich. »Sie sind für sich und um ihrer selbst willen da, nicht aber um einem Philister das Blut in Umlauf zu setzen. Wer es vermag, der erwerbe sich um sich und seine Seligkeit das Verdienst, jene Offenbarungen zu verstehen, sie selbst aber sind nicht verpflichtet, sich dem Verständnisse kalter Herzen aufzudrängen!«
Ich schenkte ein und sprach lachend: »Du bist der alte Phantast, der gerade da mich nicht verstehen will, wo wir im Grunde gewiß derselben Meinung sind! Lassen wir also die Popularitätsfrage
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