Auswahl seiner Schriften
weichen.
»Laß uns Punsch trinken!« rief R..., indem er plötzlich seine Stellung verließ, und eines Kellners ansichtig zu werden suchte.
Stimmungen wie die, in welche wir uns versetzt fühlten, sind zu heilig, als daß man sie nicht so lange als möglich zu erhalten suchen müßte. Ich wußte, von welcher angenehmen Wichtigkeit uns der Genuß des Punsches werden würde, und stimmte fröhlich in den Vorschlag meines Freundes ein. Bald dampfte eine nicht unansehnliche Bowle auf unserm Tisch und wir leerten die ersten Gläser.
»Wie gefiel Dir die Aufführung der Symphonien?« fragte ich.
»O, was! Aufführung!« versetzte R.... »Es giebt Stimmungen, in denen, so peinlich ich sonst bin, die schlechteste Exekution eines meiner Lieblingswerke mich dennoch entzücken könnte. Diese Stimmungen, es ist wahr, sind selten, und sie üben ihre süße Herrschaft über mich nur dann aus, wenn mein ganzes inneres Wesen in einer glücklichen Harmonie mit meiner körperlichen Gesundheit steht. Dann aber bedarf es nur des geringsten äußeren Anklanges, um sogleich das ganze Tonstück, welches gerade meiner vollen Empfindung entspricht, in mir selbst ertönen zu lassen, und zwar in einer so idealen Vollständigkeit, wie es das beste Orchester der Welt nicht meinen äußeren Sinnen vorführen kann. In solchen Stimmungen, siehst Du, ist mein sonst so scrupulöses musikalisches Gehör geschmeidig genug, um selbst den überschlagenden Ton einer Hoboe mir nur ein leises Zucken hervorbringen zu lassen; mit einem nachsichtigen Lächeln bin ich im Stande, den falschen Ton einer Trompete an meinen Ohren vorüberstreichen zu lassen, ohne deßhalb auf länger aus der beseligenden Empfindung gerissen zu werden, in der ich mir mit süßer Selbsttäuschung vorschmeichle, soeben die vollendetste Aufführung meines Lieblingswerkes zu vernehmen. In solchen Stimmungen kann mich dann nichts mehr ärgern, als wenn sich ein glattohriger Laffe mit vornehmer Indignation über einen jener musikalischen Unfälle empört, der sein überaus zartes Gehör verletzt, während ihm dieses jedoch morgen nicht verbietet, eine ganze kreischende Skala zu bewundern, mit welcher irgend eine beliebte Sängerin Nerven und Seele zugleich mißhandelt. Diesen subtilen Laffen geht eben die Musik nur am Ohre vorbei; oft aber auch sogar nur vor den Augen, denn ich entsinne mich, Leute beobachtet zu haben, die keine Miene verzogen, als ein Blasinstrument eben fehlte, die sich aber sogleich die Ohren zuhielten, als sie den wackeren Musiker gewahrten, wie er vor Scham und Verwirrung den Kopf schüttelte!«
»Wie?« warf ich ein – »muß ich Dich gegen die Leute von feinem Gehör eifern hören? Wie oft entsinne ich mich, Dich über die schwankende Intonation einer Sängerin bis zur Tollheit verletzt gesehen zu haben!«
»O, mein Freund!« rief R... aus – »ich spreche nur von jetzt, ich spreche nur von heute. Gott weiß, wie ich öfter gestimmt bin, über die Unreinheit im Spiel des berühmtesten Violinvirtuosen außer mir zu gerathen, daß ich die besten Sängerinnen oft verwünsche, wenn sie in ihrem Glauben auch noch so rein zwischen mi fa sol vokalisiren, ja, daß ich oft aufgelegt bin, nicht den geringsten harmonischen Zusammenklang unter allen Instrumenten des sorgfältigst gestimmten Orchesters zu finden! Sieh', dieß ist an den unzähligen Tagen der Fall, wo mein guter Geist aus meinem Innern wich, wo ich meinen Frack anziehe und mich unter die parfümirten Damen und frisirten Herren dränge, um das Glück aufzusuchen, das mir durch die Ohren wieder in die Seele dringen soll. O, da solltest Du die Angst fühlen, mit der ich jeden Ton abwäge, mit der ich jede Klangschwingung abmesse! Wenn es mir hier im Herzen schweigt, bin ich subtil wie die Laffen, die mich heute ärgerten, und es giebt dann Stunden, wo eine Beethoven'sche Sonate mit Violine oder Violoncelle mich zur Flucht bringen kann. – Gesegnet sei der Gott, der den Frühling und die Musik erschuf: – ich bin heute glücklich und kann Dir sagen, daß ich es bin!« Damit füllte er die Gläser von Neuem, wir leerten sie bis auf den letzten Tropfen.
»Soll ich Dir sagen,« – begann ich sodann, – »daß ich mich nicht minder glücklich fühle? Wer möchte es nicht sein, wenn er mit ruhiger Fassung und süßem Behagen soeben die Aufführung zweier Werke anhörte, die ausschließlich durch den Gott der hohen sinnigen Freude geschaffen zu sein scheinen? Ich fand die Zusammenstellung der Mozart'schen mit
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