Auswahl seiner Schriften
getrost bei Seite! Mache mir aber das Vergnügen und theile mir auch Deine Empfindungen mit, mit denen Du heute die beiden Symphonien anhörtest!«
Meines Freundes Gesicht klärte sich von der flüchtigen Wolke auf, die ihm ein kurzer Verdruß schnell über die Stirne gejagt hatte. Er betrachtete den Dampf, der aus dem heißen Punsche quoll, und lächelte: »Meine Empfindungen? – Ich empfand die laue Wärme eines schönen Frühlingsabends, bildete mir ein, mit Dir unter einer großen Eiche zu sitzen und durch ihre Zweige hinauf zum bestirnten Himmel zu blicken. Des Weiteren empfand ich tausend andere Dinge, die ich Dir nicht sagen kann: Da hast Du Alles!«
»Das ist nicht übel!« versetzte ich. – »Einem unserer Nachbarn war es vielleicht dabei zu Muthe, als rauche er eine Cigarre, tränke Kaffee und liebäugelte mit einer jungen Dame im blauen Kleide!«
»Zuversichtlich,« – setzte R... sarkastisch fort, – »und dem Paukenschläger kam es gewiß so vor, als prügele er seine ungezogenen Jungen, die ihm das Abendbrot noch nicht aus der Stadt gebracht haben. – Vortrefflich! Am Eingange des Gartens gewahrte ich einen Bauer, der voll Verwunderung und Freude der A dur Symphonie lauschte: – ich wette meinen Kopf, dieser hat das richtigste Verständniß gehabt, denn vor Kurzem erst wirst Du in einer unserer musikalischen Zeitungen gelesen haben, daß Beethoven, als er diese Symphonie komponirte, sich nichts Anderes zum Vorwurf genommen hat, als eine Bauernhochzeit zu schildern. Der ehrliche Landmann wird sich also sogleich jedenfalls seinen Hochzeitstag in das Gedächtniß zurückgerufen, und seiner Einbildungskraft der Reihe nach alle Akte jenes Tages, als: die Ankunft der Gäste und den Schmaus, den Gang in die Kirche und die Einsegnung, sodann den Tanz, und endlich das Beste, was Braut und Bräutigam für sich behielten, vorgeführt haben.«
»Die Idee ist gut!« rief ich lachend. – »Sage mir um des Himmels willen, warum willst Du dieser Symphonie verwehren, dem braven Bauer auf seine Art eine glückliche Stunde zu bereiten? Hat er nicht verhältnißmäßig dasselbe Entzücken dabei empfunden, wie Du, als Du unter der Eiche saßest und durch ihre Zweige die Sterne am Himmel beobachtetest?«
»Ich gebe Dir nach,« – entgegnete gemüthlich mein Freund, – »dem wackern Bauer erlaube ich mit Vergnügen, sich bei Anhörung der A dur Symphonie seine Hochzeit zurückzurufen. Den civilisirten Stadtbewohnern aber, die in musikalischen Zeitungen schreiben, möchte ich die Haare von ihren albernen Köpfen herunterreißen, wenn sie solch' dummes Zeug unter ehrliche Leute bringen, denen sie dadurch von vorn herein alle Unbefangenheit rauben, mit der sie sich ohnedem zur Anhörung der Beethovenschen Symphonie angelassen haben würden. – Anstatt nun ihren natürlichen Empfindungen sich zu überlassen, sehen die armen betrogenen Leute mit vollem Herzen aber schwachem Kopfe sich veranlaßt, durchaus nur einer Bauernhochzeit nachzuspüren, der sie vielleicht nie beigewohnt haben, und statt derer sie sich gewiß mit weit größerer Neigung irgend etwas Anderes vorgestellt hätten, was gerade im Kreis ihrer Einbildungskraft lebt.«
»Du giebst mir also zu,« versetzte ich, – »daß das Wesen jener Produktionen es nicht ausschließe, nach Maßgabe der Individualitäten verschiedenartig aufgefaßt zu werden?« – »Im Gegentheile«, lautete die Antwort, »halte ich dafür, daß eine einzige stereotype Auffassung derselben durchaus unzulässig sei. So bestimmt in den künstlerischen Proportionen einer Beethoven'schen Symphonie das rein musikalische Gebäude selbst vollendet und abgerundet dasteht, so vollkommen und untheilbar es dem höheren Sinne erscheint, so unmöglich ist es jedoch auch, die Wirkungen dieser Kompositionen auf das menschliche Herz auf eine einzig gültige zurückzuführen. Es ist dieß mehr oder weniger mit den Produktionen jeder anderen Kunst derselbe Fall; wie ganz verschiedenartig kann nicht ein und dasselbe Bild, ein und dasselbe Drama auf verschiedenartige Individualitäten, und zu verschiedenen Zeiten sogar auf das Herz ein und desselben Menschen wirken? Und um wie viel bestimmter und abgeschlossener ist der Maler – der Dichter nicht gebunden, seine Gestalten zu zeichnen, als der Instrumental-Komponist, der nicht, wie jene, darauf angewiesen ist, nach den Erscheinungen der Alltagswelt seine Gestalten zu modeln, sondern dem ein unermeßliches Gebiet im Reiche des überirdischen zu
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