Ausweichmanöver (German Edition)
auffing.
„Herr Sproy. Wir müssen dringend mit Ihrer Tochter sprechen. Es wäre hilfreich, wenn Sie uns anrufen oder mit ihr zu uns kommen, sobald sie auftaucht. Und Herr Sproy, Ihre Tochter hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit.“
„Wie meinen Sie das?“
„Wir verstehen uns schon.“
Dann hatte ich eine Idee. „Zeigen Sie mir doch bitte mal ihr Zimmer.“
Er schwang sich aus dem Sessel hoch. „Wir müssen nach oben.“
Hinter ihm stieg ich die schmale Treppe hinauf. Die Tür zum Bad stand offen. Auf dem Flur ein riesiger Adler aus Polyresin, ein Wagenrad an der Wand. Ein Whiskeyfass diente als Tisch.
„Julia wohnt da drin“, sagte er und zeigte auf eine Tür.
Ich öffnete sie und sah hinein. Ein ungemachtes Bett mit schwarzer Bettwäsche, ein Schreibtisch mit PC, ein Kleiderschrank und Regalbretter, auf denen mindestens fünfzig Karl-May-Bände standen. „Ihre Tochter teilt Ihre Leidenschaft für den Wilden Westen?“
„Nee, ich wusste nicht, wohin mit den Büchern.“ Er schob mich weiter in den Raum hinein und zeigte auf ein Indianerzelt, das in einer Ecke stand. „Früher wollte sie immer darin spielen, das geht natürlich nicht. Gucken Sie sich mal die Perlenstickerei an.“
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. „Sie lagern Ihre Sachen im Zimmer Ihrer Tochter?“
„Klar, sie hat doch genug Platz zum Schlafen, und einen Schreibtisch für die Schulsachen hat sie auch.“ Er zog eine Schublade auf. Darin lagen Perlen, Draht, Klebstoff.
„Sie hat das beste Licht für solche Arbeiten.“
Ich schluckte. „Hat Ihre Tochter gar keine Privatsphäre?“
„Wozu? Bleibt doch alles in der Familie.“
Ich verabschiedete mich so schnell ich konnte. Hierher würde Julia wohl nur im äußersten Notfall zurückkehren, und Hinweise auf was auch immer gab es hier garantiert nicht.
Wir waren beide froh, als wir wieder im Auto saßen.
„Ich habe ihr die Telefonnummer von Konstanze gegeben. Die hat eine besondere Ausbildung für weibliche Gewaltopfer.“
„Glaubst du ernsthaft, die zeigt ihren Mann an?“
„Sie behauptet, dass er sie nicht schlägt, und Julia auch nicht. Sie sagt, er wäre nett und freundlich, solange er nichts getrunken hat.“
„Genau, und Schildkröten legen ihren Panzer zum Duschen ab.“
Verblüfft grinste Kofi mich an. „Hast du in ihrem Zimmer was gefunden?“
„Noch mehr Indianerkram. Der Typ sieht nur sich. Trotzdem soll Marc sich mal die Rechner von Timo und Julia ansehen.“
„Gut wäre auch, wenn jemand die Häuser überwacht.“
„Dafür haben wir kaum genug Leute. Ich sag Herbert, er soll seine Runden etwas enger drehen und häufiger hier, bei Heckmann und bei den Flecks vorbeifahren. Vielleicht haben wir Glück. Wenn wir die beiden nicht bald finden, müssen wir sie zur Fahndung ausschreiben.“ Kofi zögerte. „Das ist der Schritt von der Verzweiflungstat zum Terrorismus, oder? Unsere Leute haben Fotos von den beiden. Wir haben bei den Nachbardienststellen um Unterstützung gebeten. Sie sind in der Vermisstendatei. Das reicht. Wenn wir in der Zeitung oder sogar im Fernsehen nach den beiden suchen, entwickelt sich eine Hexenjagd.“
„Es gibt Vorschriften.“
Kofi sah mich empört an. „Nicht mal der Mausig hält den für einen Terroristen. Außerdem gibt es gar keine Beweise.“
Ich blieb stur. „Es gibt aber auch keine Gegenbeweise.“
Ich lehnte mich im Beifahrersitz zurück, während Kofi uns zur Dienststelle brachte. Ich würde mich nie an all das gewöhnen, an prügelnde Ehemänner, an Überfälle und Diebstähle und schon gar nicht an tote Kinder.
Er fuhr die Liebigstraße bis zum Ende und bog in die Allersheimer ein. Symrisehallen wucherten hier hinter jeder zweiten Ecke. Als wir auf der Höhe des Friedhofs waren, fragte Kofi: „Was meinst du, warum Amokläufe immer an Gymnasien passieren?“
„Ist das so?“
„Kommt mir so vor.
„2002 in Erfurt, Gutenberg-Gymnasium, und 2009 das Carolinum in Ansbach, oder?“
„Aber Winnenden war eine Realschule, glaube ich.“
„Okay, dann vielleicht doch nicht. Ich dachte, wegen Abiturstress und so.“
Bevor wir links zur Dienststelle in die Sohnreystraße abbiegen konnten, mussten wir wegen des Gegenverkehrs eine ganze Weile warten. Kofi fuhr auf das Parkdeck und nicht in die Parkgarage. Nacheinander betraten wir das Gebäude durch den Hintereingang.
18
Nur weil sie einsah, dass er wissen musste, wie es seinem besten Freund ging, hatte seine Mutter ihm erlaubt, das Haus noch
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