Ausweichmanöver (German Edition)
Polizei, Heckmann, der Kerl, der auf uns geschossen hat.“ Gini sprach immer lauter. „Was weiß ich denn. Jedenfalls hatte er recht.“ Sie wurde wieder leiser. „Ich konnte nicht rechtzeitig weg. Meine Mutter saß mit ihrer Freundin im Wohnzimmer, bis Viertel vor eins. Als sie endlich ins Bett ging, habe ich Valentin angerufen. Es konnte sein, dass er schon zurück war. War er aber nicht. Er ist nicht ans Handy gegangen.“
„Also bist du raus?“
„Ich habe mich aus dem Haus geschlichen und bin zu Heckmanns Grundstück. Da war alles ruhig. Erst wollte ich umdrehen, aber dann hatte ich so ein Gefühl. Deshalb bin ich weiter zu Valentins Wohnung gegangen. Es war alles ganz still. Nur ein Auto brummte gelegentlich irgendwo in der Stadt. Plötzlich hörte ich ein Stöhnen. Erst wollte ich weglaufen. Doch es klang nicht bedrohlich.“ Sie weinte wieder. „Da sah ich ihn. Ein dunkler Haufen in einem Vorgarten. Er röchelte, schien keine Luft zu bekommen. Ich konnte nicht viel sehen, aber sein Gesicht war ganz blutig.“
„Hat er was gesagt? War er bei Bewusstsein?“
„Am Anfang ja, später nicht mehr, glaube ich. O, Gott, es war so entsetzlich. Fast zwanzig Minuten hat es gedauert, bis der Rettungswagen endlich kam.“
„Was haben sie gesagt?“
„Dass sie nichts sagen können, und bei Valentin zu Hause geht niemand ans Telefon.“
Beide schwiegen.
Schließlich räusperte Lars sich. „Er muss nicht tot sein.“
Gini sah ihn an. „Du hast ihn nicht gesehen. So viel Blut. Ich habe gar nicht gewusst, dass wir so viel Blut in uns drin haben. Und das Gesicht!“
„Wie bist du nach Hause gekommen?“
„Ich habe meinen Vater angerufen. Der hat mich abgeholt.“
„Hast du viel Ärger bekommen?“
„Geht so. Ich habe gesagt, dass Valentin mich angerufen und um Hilfe gebeten hat. Er hat nur gesagt, dass er nicht erwartet hätte, dass ich ihn so enttäusche und mich nachts rausschleiche, dann hat er mich in den Arm genommen und nach Hause gebracht.“
„Kein Stubenarrest?“
„Wozu?“ Gini war verwundert. „Meine Eltern waren froh, dass ich Valentin gefunden habe. Wenn er bis morgens da gelegen hätte, wäre es sicher zu spät gewesen. Außerdem fanden sie es gut, dass ich sie gleich angerufen habe, nachdem ich ihn gefunden hatte.“
„Wieso das denn?“
„Hat was mit Vertrauen zu tun.“
Lars verstand nicht so genau, was sie damit meinte. Hätte er seine Mutter angerufen in dieser Situation? Wahrscheinlich nicht. Wen hätte er angerufen? Seinen Vater? Ganz bestimmt nicht.
„Ich fahre jetzt ins Krankenhaus. Seine Eltern sind bestimmt auch da. Kommst du mit?“
Gini zitterte. „Darf ich hierbleiben?“
„Klar.“
Sie legte sich auf sein Bett. Er deckte sie zu. Sie zog die Beine an, rollte sich zusammen wie ein Baby. „Danke, ich warte auf dich.“
Vor dem Krankenhaus parkte der Mazda von Valentins Eltern. ‚Ein gutes Zeichen‘, dachte Lars. ‚Er lebt noch, sonst wären sie nicht mehr hier.‘
Kaum hatte er das Gebäude betreten, kamen ihm Herr und Frau Shekovietz entgegen. Sie sahen beide übernächtigt aus. Frau Shekovietz hielt sich ein geblümtes Stofftaschentuch vors Gesicht. Trotzdem hatte Lars nicht das Gefühl, dass sie weggingen, weil alles vorbei war.
Herr Shekovietz bemerkte ihn als Erster. „Lars, mein Junge. Kommst du zu deinem Freund? Das ist gut. Er ist aufgewacht aus diesem Koma. Furchtbar sieht er aus, furchtbar. Aber er lebt.“
„Sie sagen, er wird wieder ganz und komplett gesund“, sagte Frau Shekovietz. „Wir fahren nach Hause, um Sachen zu holen. Schlafanzug und Seife.“ Sie schniefte laut. „Zahnbürste wird er nicht brauchen so bald, hat drei Zähne verloren, der arme Junge.“
„Und Nase gebrochen, aber nicht Schädel. Das ist gut, sagt der Arzt. Sehr gut.“
„Und Jochbein. Lars, was ist Jochbein?“
Lars war überrumpelt. „Unter dem Auge, glaube ich.“ Oder neben dem Auge? „Kann ich mit ihm sprechen?“
Herr Shekovietz wiegte den Kopf. „Sprechen ist schlecht, sehr schlecht. Ist alles geschwollen.“
„Hat er Schmerzen?“
„Nein, nein, er bekommt Tropf. Da ist alles drin, Mittel gegen Schmerz, gegen Schwellung und gegen Angst.“
„Gegen Angst?“
„Hat der Arzt gesagt, Mittel, damit er sich nicht aufregt. Zur Beruhigung.“
Plötzlich packte ihn Frau Shekovietz am Arm. „Was hatte Valentin vor, gestern Nacht? Warst du auch da?“
„Nein, ich war nicht da.“
„Erst schießt einer auf meinen Sohn, dann wird er
Weitere Kostenlose Bücher