Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Gesicht hatte eine weiße Kruste, wie ein ausgetrockneter Salzsee in der Wüste.
Früher, wenn ich davon hörte, dass eine Frau eine Fehlgeburt hatte, konnte ich mir ihre Trauer nicht vorstellen und wunderte mich, dass man etwas, das man nie gehabt hat, so sehr vermissen konnte. Andere Verluste konnte ich nachvollziehen, zum Beispiel, wenn eine meiner Freundinnen von ihrem Freund verlassen wurde, dann fühlte ich mich einsam und zurückgewiesen und gedemütigt, so wie sie. Oder wenn jemand, der einem meiner Freunde nahe stand, starb, dann konnte ich den Schock, die Trauer und die Unbegreiflichkeit des Todes einigermaßen nachfühlen, auch wenn meine Großeltern die einzigen Menschen waren, die ich geliebt hatte und die gestorben waren.
Aber die Trauer, die man empfindet, wenn man ein Kind
verliert, konnte ich mir nicht vorstellen. Das konnte ich erst, als es mir selbst zweimal passiert war.
Und komischerweise ist es irgendwie vergleichbar mit den anderen Verlusten. Ich fühlte mich so einsam und zurückgewiesen und gedemütigt, als wenn ich verlassen worden wäre – einsam, weil ich das neue Wesen jetzt nie kennen lernen würde, zurückgewiesen, weil es nicht in meinem Körper bleiben wollte, und gedemütigt, weil mein Körper versagt hatte. Und dazu empfand ich Schock, Trauer und Unverständnis, als wäre jemand gestorben.
Aber meine Trauer hatte eine zusätzliche Dimension, die an das Wesentliche des Menschseins rührte. Ich hatte das Kind gewollt, und der Wunsch danach war körperlich so spürbar und so unerklärlich wie Hunger.
Während der ganzen Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich durch eine Glasscheibe von den anderen Menschen getrennt war, so isoliert fühlte ich mich. Ich glaubte, dass fast niemand verstehen könnte, wie sich mein Schmerz anfühlte, niemand außer denen, die selbst eine Fehlgeburt erlitten hatten – obwohl ich niemanden kannte –, und denen, die ohne Erfolg versuchten, schwanger zu werden. Und vielleicht könnten die Menschen, die selbst Kinder hatten, den Schmerz verstehen, aber die meisten anderen nicht. Ich nahm das an, weil ich lange Zeit so wie die meisten anderen empfunden hatte.
Der einzige Mensch, der meinen Verlust genau verstand und empfand, war derjenige, dem ich kaum in die Augen sehen konnte – Garv. Dass er die ganze Zeit an meiner Seite war, machte es schwieriger, und ich begriff nicht, warum. Bis mir bewusst wurde, dass ich ständig an etwas denken musste, was sich ereignet hatte, als ich ungefähr zwanzig war: Ein Kind aus der Nachbarschaft war zwischen zwei parkenden Autos auf die Straße gelaufen und von einem vorbeifahrenden Auto, dessen Fahrer keine Chance hatte zu bremsen, überfahren und getötet worden. Die Eltern des getöteten Kindes waren völlig am Boden zerstört, aber es gab auch viel Mitgefühl für den Fahrer des Unglücksautos. Wiederholt hörte ich Nachbarn sagen: »Der Fahrer tut mir Leid, der Arme, was der durchmachen muss.«
Und jetzt war ich in der Position des Fahrers. Ich war verantwortlich für Garvs Trauer, es war meine Schuld, und es war schrecklich, damit leben zu müssen.
Aber Garv kam sehr viel besser mit der Situation klar als ich. Nach der Fehlgeburt übernahm er zwei Wochen lang den Haushalt, er empfing meinen Besuch, er räumte die Zeitschriften zum Thema Mutter und Kind weg und legte Vanity Fair aus, und er sorgte dafür, dass ich etwas zu mir nahm. Ich hingegen war rastlos, ich fand nicht zum normalen Alltag zurück, und ich weigerte mich, über das Geschehene zu sprechen. Ich konnte nicht einmal das Wort »Fehlgeburt« sagen – wenn jemand davon anfing, unterbrach ich ihn und sagte »Rückschlag«, dann verbesserten sie sich: »Also gut, Rückschlag«, und wollten fortfahren, aber ich sagte: »Ich will nicht darüber sprechen.« Ich war so hartnäckig, dass selbst die mitfühlendsten Freunde aufgaben.
Dann kam jemand auf die Idee, dass Garv und ich verreisen sollten. Plötzlich waren sich alle einig, dass dies ein großartiger Vorschlag sei, und wohin wir uns auch wandten, überall hörten wir nur: »Das wird euch richtig gut tun«, oder: »Ein paar Tage am Swimmingpool mit einem Schmöker, und du bist wie ausgewechselt.« Es war wie in einem Horrorfilm. »Du bist auch in den Ferien gezeugt worden, Margaret«, sagte Mum mit einem anzüglichen Zwinkern.
»Erzähl es uns nicht, bitte, erzähl es nicht«, flehte Helen.
Schließlich hatten Garv und ich das Gefühl, dass uns nichts anderes übrig blieb. Ich hatte gar nicht
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