Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
die Energie, mich dem Drängen zu widersetzen, und die Vorstellung, noch eine Woche dem richtigen Leben fernbleiben zu dürfen, war sehr verlockend.
Also flogen wir nach St. Lucia, verführt von Bildern mit silbrigen Palmwedeln, pulverweißem Sand, heißem Sonnenschein und Cocktails so groß wie Goldfischgläser. Dort mussten wir jedoch feststellen, dass drei Tage zuvor ein Hurrikan über die Insel gefegt war – obwohl es nicht die Zeit dafür war – und der Strand mit den meisten Palmen ins Meer gespült worden war. Dazu kam, dass meine Reisetasche voller wunderhübscher neuer Badesachen auf dem Förderband am Flughafen
nicht auftauchte. Was dem Ganzen die Krone aufsetzte, waren die Bauarbeiter, die jeden Morgen um sieben vor unserem Fenster damit begannen, den Strand wieder herzustellen. Zu allem Überfluss und obwohl gar keine Regenzeit war, goss es auch noch in Strömen.
Unübertroffen war auch die Einstellung der Angestellten im Hotel hinsichtlich meiner fehlenden Reisetasche. Wie sehr ich mich auch bemühte, sie davon zu überzeugen, dass ich meine Sachen unbedingt haben wollte, ich schien keine Wirkung zu erzielen. Jeden Morgen und jeden Abend fragten Garv und ich nach, aber niemand konnte uns eine Auskunft geben.
»Sie sind so nachlässig hier«, beschwerte ich mich.
»Nachlässig?«, sagte Garv. »Verglichen mit denen hier sind die Iren so fleißig und strebsam wie die Japaner.«
Als wir am fünften Tag wieder zur Rezeption gingen, kam es zum Eklat. Obwohl wir Floyd vier Tage lang jeden Tag die ganze Geschichte mit der fehlenden Reisetasche erklärt hatten, musste Garv immer wieder von vorn anfangen.
Halbherzig drückte Floyd dann auf ein, zwei Tasten an seinem Computer und blickte auf den Bildschirm. Ich verrenkte mir den Kopf, um den Bildschirm zu sehen, weil ich den Verdacht hatte, dass der Computer gar nicht angeschaltet war.
»Sie kommt morgen«, sagte er gedehnt.
»Aber das haben Sie gestern auch gesagt« – mein Kiefer war angespannt – »und vorgestern.« Ich dachte daran, wie Garv jeden Abend meine Shorts und mein T-Shirt im Waschbecken auswusch, und wie ich die Sachen jeden Morgen klamm anzog und von den anderen gut gekleideten Frauen ausgelacht wurde. Und dann dachte ich an all die farbenfrohen Bikinis und die bunt geblümten Strandkleider und, was am schlimmsten war, an meine neuen, noch nie getragenen Sandalen, und ich bekam einen hysterischen Anfall.
Selbst nach so langer Zeit krampft sich mein Magen schmerzhaft zusammen, wenn ich an die Sandalen denke. Nicht weil ich eine Schuh-Fetischistin bin – meine größte Liebe gilt doch eigentlich den Handtaschen –, sondern weil Garv unglaubliche Mühen auf sich genommen hatte, um sie für mich zu besorgen. Ich hatte sie in der Woche vor unserer Abreise
in einem Geschäft gesehen und anprobiert. Ich war schon entschlossen gewesen, sie zu kaufen, als eine Frau mit einem Baby in das Geschäft kam. Das Baby war winzig und gerade geboren, und seine wächsernen Augenlider zitterten leicht im Schlaf und die rosigen Hände waren zu kleinen Fäusten zusammengerollt.
Ich musste das Geschäft verlassen – ich übertreibe nicht –, ich musste rausgehen, weil ich sonst die Beherrschung verloren und wieder angefangen hätte zu weinen, und wenn ich einmal angefangen hatte, konnte ich nur sehr schwer wieder aufhören.
Zu Hause erzählte ich Garv alles. »Es war nicht nur das Baby«, sagte ich. »Ich weiß, es ist blöd, aber es sind auch die Sandalen. Sie waren perfekt, sie hätten zu allem gepasst. Und ich habe sie nicht genommen …« Ich hangelte mich am Rand eines großen Weinanfalls entlang.
»Ich besorge sie dir«, sagte Garv, und ein Muskel zuckte entschlossen in seiner Wange. »Wo hast du sie gesehen?«
»Nein, lass mal.« Ich konnte mich nicht mehr an das Geschäft erinnern und wusste nur noch, dass es in der Grafton Street war. Im nächsten Moment legte Garv mir einen Block und einen Stift hin. »Mal sie auf«, sagte er. »Schreib die Farbe und die Größe auf, alles, was du noch weißt.«
Ich versuchte es ihm auszureden, aber er war entschlossen. Was nur bewirkte, dass ich mich noch schlechter fühlte. Denn es zeigte deutlich, wie schlecht es um uns stand und wie nah dran wir waren, in den Abgrund zu stürzen, wenn Garv solche extremen Maßnahmen zu ergreifen bereit war, um mich glücklich zu machen.
Wie ein Privatdetektiv durchstreifte er die Straßen im Zentrum Dublins, betrat, ausgestattet mit meiner Zeichnung, ein
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