Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Glastür öffnete und wieder eine Gruppe heraustrat, konnte man einen glücklichen Aufschrei aus irgendeiner Ecke hören, und mit der wellenartigen Bewegung, die durch die Menge ging, stolperte ich über die neben mir Stehenden, während andere Wartende versuchten, zu ihren Verwandten zu gelangen.
Je mehr Zeit verging, ohne dass meine Familie erschien, desto leichter wurde mir zumute – offenbar hatten sie das Flugzeug verpasst. Wunderbar, ich könnte nach Irland zurückfliegen – schade nur, dass ich nicht gleich meine Sachen mitgebracht hatte, dann hätte ich das nächste Flugzeug nehmen können. Doch just in dem Moment, da ich mir sicher war, dass sie wirklich nicht kommen würden, gingen alle meine Sinne in Habachtstellung, und meine Hoffnung entschwand; ich konnte sie noch nicht sehen, aber ich wusste, dass sie im Anmarsch waren, nicht, weil ich einen siebten Sinn dafür hätte, sondern weil ich sie hören konnte: Ihre aufgeregt diskutierenden Stimmen waren deutlich vernehmbar.
Und dann waren sie da. Mum mit einem merkwürdig orange getönten Gesicht – das Geheimnis klärte sich später auf, als ich ihre Handflächen sah, die ebenfalls orange-braun gefärbt waren: Sie hatte sich wieder an der Bräunungscreme vergriffen. Wir konnten ihr noch so oft sagen, sie könne damit nicht umgehen, sie hörte einfach nicht auf uns.
Von Dad sah ich nur einen Zipfel, er war fast verdeckt von dem Wagen mit den Koffern. Er trug khakifarbene Shorts. Hinter ihm kam Anna, und ich war überrascht – schockiert geradezu –, als ich sie sah. Sie hatte sich die Haare schneiden lassen – eine neue Frisur –, und sah fantastisch aus. Ganz am Schluss war Helen, ihr langes Haar glänzte, ihre grünen Augen funkelten, und ihr Mund war in einem verächtlichen Lächeln nach unten gezogen, während sie die wartende Menge mit kritischem Blick musterte. Auch aus dieser Entfernung konnte ich ihre tonlosen Worte sehen: »Wo zum Teufel ist sie?« Seufzend winkelte ich meine Arme an, stemmte die Ellbogen nach außen und schob mich durch die Menge.
Wieso sie so viel Verspätung hatten? Eine von Annas Reisetaschen war nicht angekommen, und erst als sie alle Formulare ausgefüllt hatten, entdeckten sie sie auf dem Gepäckband des Bogotá-Flugs, wo sie einsame Runden drehte. Ein weiterer Grund für die Verzögerung war der Gepäckwagen. Er war eigenwillig und unkontrollierbar, hatte Knöchelschürfungen und blaue Flecken an Schienbeinen verursacht und bekäme mit Sicherheit einen Maulkorb verpasst, wäre er ein Hund.
Aber ich war froh, sie alle zu sehen, froher, als ich mir vorgestellt hatte, und einen Moment lang fühlte ich mich beschützt – Mum und Dad waren gekommen, sie würden sich meiner annehmen. Aber beim Anblick von Dads dünnen, weiß-blau geäderten Beinen wurde mir bewusst, dass es nicht fair war, solche Erwartungen an sie zu stellen. Im Gegenteil, weil ich schon seit drei Wochen in L.A. war, wäre ich für ihr Wohlergehen verantwortlich – obwohl ich mich kaum in der Lage sah, auf mich selbst zu achten, geschweige denn auf diese vier.
Mit allerlei Drücken und Schieben hatte ich die riesigen
Gepäckberge in Emilys wohnblockgroßen Pick-up verstaut, und unter einem blauen, blauen Himmel machten wir uns auf den Weg zum Freeway nach Santa Monica, während mein neues Aussehen eingehend besprochen wurde.
»Du hattest dein Haar nie so kurz.«
»Als sie zur Welt kam, muss es kürzer gewesen sein«, sagte Helen.
»War es aber nicht.«
»Woher willst du das wissen? Du warst doch nicht dabei. Ich muss schon sagen, Maggie«, bemerkte Helen. »Du siehst fantastisch aus. Die Frisur steht dir ausgezeichnet, und du bist richtig schön braun.«
Ich wartete auf die Gemeinheit, aber sie war nicht mir bestimmt, sondern Mum.
»Richtig schön braun«, wiederholte Helen. »Fast so wie Mum. Hat sie nicht Farbe gekriegt?«, fragte Helen unfreundlich.
»Ja, sehr schön.«
»Ich habe zu Hause immer mal wieder im Garten gesessen«, sagte Mum.
»Zwischen den Schauern, klar«, sagte Helen bissig.
»Die Sonne in Irland kann sehr kräftig scheinen«, beharrte Mum.
»Das muss sie auch, wenn du im Dauerregen so braun werden kannst.«
Das Gefrotzel ging so weiter, bis wir – nur sechs Blocks von Emilys Haus entfernt – das Ocean View Hotel erreichten. Zu meiner Überraschung war der Name angemessen, denn man konnte tatsächlich vom Hotel aus das Meer sehen. Zwischen dem Hotel und der blinkenden Fläche des Meeres war nur
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