Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
aus Korkfliesen bis zur Decke. Die Spiegel aus Rauchglas waren wie aus Last Days of Disco – sehr stilvoll, aber nicht besonders nützlich, wenn man sehen wollte, ob man Lippenstift auf den Zähnen hatte.
Es war nur eine andere Frau da, die in das Rauchglas blickte und sich Wimperntusche auftrug. Auf der Waschtheke, neben ihrer Handtasche lag etwas, das mir merkwürdig vorkam – ein Paar Bügelgriffe, wie man sie gewöhnlich an einer Plastiktüte aus teuren Geschäften findet und die sich der Länge nach zuknipsen lassen. Für sich genommen waren sie nichts Besonderes, das Komische an ihnen war, dass der Beutel fehlte.
Das alles registrierte ich nur nebenbei, bis die Frau ihr Atemspray in der Handtasche verstaute, sich diese unter den Arm klemmte und dann – ich dachte, ich sehe nicht recht – die beiden Bügel nahm und sie schwang, als hinge ein Einkaufsbeutel daran. Des Kaisers neue Tasche.
Schweigend sahen wir ihr nach, und als sie zur Tür hinaus war, fingen Emily, Connie und Debbie aufgeregt an zu reden.
»War das etwa?«
»Bestimmt!«
»Wer? Was?«, fragte ich, als ich merkte, dass die Frau offenbar nicht, wie ich angenommen hatte, eine arme verwirrte Seele war.
»Dr. Hawks Taschenbügel!« An ihren glänzenden Augen konnte ich ablesen, dass ich eigentlich wissen müsste, wovon sie sprachen. Ich schüttelte langsam den Kopf, und Emily erklärte mir, worum es ging. »Du weißt doch, wir alle tragen ziemlich viel Lasten aus unserer Vergangenheit mit uns herum.« Ich musste es zugeben – seit einiger Zeit wurde mir immer klarer, wie viel Zeug ich mit mir schleppte.
»Und Dr. Lydia Hawk ist eine Therapeutin mit einer neuen, experimentellen Methode. Sie nimmt die Idee des emotionalen Gepäcks wörtlich, für sie ist es tatsächlich ein Gepäckstück. Wenn man bei ihr eine Behandlung macht, muss man einen Monat lang einen richtigen Koffer mit sich schleppen.«
»Aber nicht so einen, den man rollen kann«, erklärte Debbie. »Und er muss voll mit allem Möglichen sein – Dr. Hawk packt ihn so, dass er ordentlich schwer ist, und man muss ihn richtig tragen, und zwar überallhin. Zum Einkaufen, zur Arbeit, zu Verabredungen …«
»Und wenn man auf dem Weg der Besserung ist, kriegt man kleinere Taschen. Bis die Last so weit geschrumpft ist, dass man Dr. Hawks Taschenbügel mitbekommt. Die muss man dann ein ganzes Jahr bei sich tragen, als Erinnerung.«
»Und sie kosten eintausend Dollar.«
»Zehntausend«, verbesserte Connie sie.
»Das ist doch Wahnsinn!«, sagte ich. »Es sind doch nur Plastikgriffe. Man könnte sie von einer Plastiktüte nehmen, die man beim Einkaufen umsonst bekommt.«
Alle drei widersprachen mir, und ihre Köpfe mit den riesigen Frisuren schwangen hin und her. »Mm-mh. Es müssen die speziellen Dr.-Hawks-Bügel sein, sonst wirken sie nicht.«
»Auf der ganzen Welt gibt es nur zwanzig Stück«, sagte Connie verklärt. »Sie sind das Coolste, was es gibt.«
Manchmal hatte ich das Gefühl, so langsam zu begreifen, wie das Leben in Fantasialand funktioniert, aber manchmal, wie in diesem Moment, stand ich so verständnislos davor wie an dem Tag meiner Ankunft.
Egal – zurück aufs Parkett und weitergetanzt! Die Musik war reinste Disco-Musik der siebziger Jahre – »Mighty Real« und »Disco Inferno« und andere wunderbare Titel, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnerte – und der Höhepunkt war erreicht, als Emily sich mit dem DJ verständigte und als Nächstes »I Will Survive« von den Wänden schallte. Einer der besonders mutigen Kerle wollte sich in unseren Kreis drängen, gerade als der Text an die Stelle mit »Go on now, go!« kam, und wir brüllten es ihm entgegen, bis er sich zurückzog, und tanzten und tanzten, als hinge unser Leben davon ab.
34
A ls Emily am folgenden Tag an meine Tür klopfte und sagte: »Lara ist auf dem Weg hierher«, wünschte ich mir, die Erde würde sich vor mir auftun und mich verschlucken.
»Will sie dich sehen?«, fragte ich voller Hoffnung.
Emily warf mir einen komischen Blick zu. »Nein, dich.« Dann sagte sie mit übergroßer Deutlichkeit, als wäre ich zurückgeblieben: »Ih-re Gelieb-te.«
O nein.
Der Tag hatte sehr schön begonnen, denn Lou hatte uns beide zum Frühstück ausgeführt. Er war spät am Abend gekommen, nachdem Emily ihn – von mehreren komplizierten Martini-Cocktails aufgelockert – um zwei Uhr nachts angerufen und ihn eingeladen hatte, zu ihr zu kommen. Zwanzig Minuten später war er da und
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