Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
von Shay verabschiedete, dass fünfzehn Jahre vergehen würden, bis ich ihn wiedersah.
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I ch fuhr vom Mondrian wieder zu Emily. Aus dem Garten der Ziegenbärtigen drang lautes Gelächter und Grillgeruch. Ohne dem Treiben dort Beachtung zu schenken, schloss ich das zum Glück leere Haus auf und ging sofort zur Couch. Ich machte nicht einmal das Licht an, ich legte mich einfach im Dunkeln hin und fühlte mich leer, verloren, seelenlos.
Im Lauf der Zeit, nachdem Shay nach London gezogen war, hörte ich immer wieder mal von ihm: Er verbrachte den Sommer in Cape Cod, er schloss das Studium ab, er bekam eine Stelle in Seattle. Irgendwann begriff ich, dass es vorbei war, dass er nicht zurückkommen würde.
Ich gab mir redlich Mühe mit den anderen Männern, die ich kennen lernte, aber ich konnte nicht nach vorn blicken. Eines Abends – ich war damals einundzwanzig – traf ich Garv zufällig in einem Pub in der Stadt. Über drei Jahre waren vergangen, seit wir uns gesehen hatten. Wie Shay war auch er zum Studium aus Dublin weggegangen – in seinem Fall nach Edinburgh. Jetzt war er wieder da und arbeitete in Dublin, und als wir uns von den Stationen in unserem Leben erzählten, kamen in mir so große Schuldgefühle auf, weil ich ihn so schlecht behandelt hatte, dass ich ihm kaum in die Augen sehen konnte. Mitten im Gespräch platzte ich mit einer Entschuldigung heraus, und zu meiner Erleichterung fing er an zu lachen. »Das macht doch nichts, Maggie, nimm’s nicht so
schwer. Das war in einem anderen Leben«, sagte er, und dabei sah er so süß aus, dass ich zum ersten Mal seit langer, langer Zeit etwas empfand.
Ich war selbst überrascht, dass ich wieder mit ihm zusammen war, mit dem Jungen, der, als ich siebzehn war, mein erster Freund war. Ich fand das sehr lustig, und die anderen auch. Doch dann hörte es auf, lustig zu sein, und zwar an dem Tag, als ich die Schnecke von der Scheibe seines Autos pflückte und sie auf das vorbeifahrende Auto mit den Nonnen warf – denn in dem Moment wurde mir bewusst, dass ich mich in ihn verliebt hatte.
Ich liebte ihn sehr, er war so ein guter Mensch. Zwar hatte er nicht Shays Quecksilber-Charme, dennoch konnte er mich verzaubern. Und ich fand, dass er umwerfend gut aussah. Er war nicht so groß und kräftig gebaut wie Shay, aber seine feineren Züge waren mir unter die Haut gegangen, so dass ich jedesmal, wenn ich ihn betrachtete, ein Prickeln empfand. Seine Augen, sein seidiges Haar, seine Größe, seine großen Hände, sein Geruch nach gebügelter Baumwolle – ich war verrückt nach ihm.
Vor allem waren wir Freunde – ich konnte ihm alles erzählen. Ich erzählte ihm sogar die ganze Geschichte mit mir und Shay, und er war voller Verständnis. Nicht die Spur einer Verurteilung von ihm.
»Ich bin keine Mörderin, die in der Hölle brennen muss, oder?«, fragte ich ängstlich.
»Natürlich nicht, aber es war auch keine leichte Entscheidung.«
Und ich war unglaublich erleichtert, dass ich einen Mann wie Garv kennen gelernt hatte.
Aber manche meiner Freunde reagierten seltsam, als wir uns verlobten. Ganz besonders Emily. »Ich glaube, du heiratest ihn, weil du auf Nummer Sicher gehen willst«, sagte sie.
»Ich dachte, du magst ihn!«, sagte ich bekümmert.
»Ich mag ihn sehr. Aber die Sache mit Shay hat dich so tief verletzt, und Garv ist dermaßen verrückt nach dir … Ich möchte einfach nur, dass du es dir genau überlegst. Denk noch mal drüber nach.«
Ich versprach es ihr, aber ich tat es nicht, denn ich wusste, was ich wollte.
Also haben wir geheiratet; wir gingen nach Chicago, kamen nach Dublin zurück, legten uns die Kaninchen zu, wollten eine Familie gründen; dann hatte ich eine Fehlgeburt, dann eine zweite, und schließlich holte meine Vergangenheit mich ein.
Lange war ich die Einzige in meinem Bekanntenkreis, die eine Abtreibung gehabt hatte. Doch als Donna fünfundzwanzig war, hatte sie eine, und Sineads Schwester hatte eine mit einunddreißig. Beide kamen sie zu mir und baten mich, von meiner Erfahrung zu berichten, und ich sagte ehrlich, was ich dachte: Es war ihr Körper, und sie hatten das Recht, sich zu entscheiden. Sie sollten diesen Pro-Life-Typen kein Gehör schenken. Aber sie sollten nicht erwarten – wenn sie mir in irgendeiner Weise ähnlich waren –, dass es keine Spuren hinterlassen würde, sondern müssten mit Rückschlägen rechnen. Und mit verwirrenden Gefühlen, von Schuldgefühlen bis Neugier, von Schock bis Bedauern,
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