Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
von Selbsthass bis Erleichterung.
Obwohl ich froh war, nicht mehr die Einzige zu sein, weckten diese beiden Abbrüche so viele Erinnerungen, dass es sich fast so anfühlte, als hätte ich alles noch einmal durchgemacht. Aber die Jahre vergingen, und ich dachte seltener daran. Außer an den Jahrestagen, wenn ich mich miserabel fühlte, ohne manchmal genau zu wissen, warum, oder wenigstens nicht sofort. Dann fiel mir das Datum ein, und ich versuchte mir vorzustellen, wie das Kind jetzt wäre, als Dreijähriges, Sechsjähriges, Achtjähriges, Elfjähriges …
Doch ich hatte geglaubt, dass ich das alles sicher in meiner Vergangenheit untergebracht hätte – bis zu unserem letzten Termin bei Dr. Collins, dem Tag der Wahrheit, als ich die Befürchtung aussprechen musste, die seit langem an mir nagte.
»Könnte es sein, dass ich diese Fehlgeburten hatte, weil ich … weil ich mir Schaden zugefügt habe?«
»Wie … Schaden zugefügt?«
»Durch eine Operation?«
»Was für eine Operation? Einen Abbruch?«
Bei der Unverblümtheit zuckte ich zusammen. »Ja«, murmelte ich.
»Unwahrscheinlich. Sehr unwahrscheinlich. Wir können das überprüfen, aber es ist äußerst unwahrscheinlich.«
Aber ich glaubte ihm nicht, und ich wusste, dass Garv ihm auch nicht glaubte, und obwohl wir nie darüber sprachen, war es genau dieser Augenblick, in dem unsere Ehe endgültig vorbei war.
Irgendwann später – ich weiß nicht, wie viel später – klingelte im Dunkel von Emilys Wohnzimmer das Telefon. Ich wollte nicht drangehen. Ich ließ es klingeln und wartete, dass der Anrufbeantworter ansprang, aber der war ausgeschaltet, und so schleppte ich mich fluchend zum Apparat.
In dem Moment, da ich den Hörer abnahm, erinnerte ich mich an Emilys Telefonverbot und betete schweigend, dass es nicht Larry Savage sein möge. Es war Shay.
»Oh, hallo.« Er klang überrascht. »Ich dachte, der Anrufbeantworter geht dran.«
»Stattdessen bin ich drangegangen.«
»Es tut mir Leid wegen heute Abend.« Er klang so zerknirscht, dass meine Bitterkeit gegen ihn zusammenschmolz. »Es hatte mit Arbeit zu tun, etwas Unvorhergesehenes.«
»Du hättest mich anrufen können.«
»Dazu war es zu spät«, sagte er schnell. »Du warst schon auf dem Weg.«
»Du fliegst am Dienstag?«
»Ja, es geht also nicht mehr.«
»Aber wir könnten uns morgen sehen. Morgen Abend?«
»Ab –«
»Nur eine Stunde oder so.«
Er schwieg und ich hielt den Atem an. »Also gut«, sagte er schließlich, »morgen Abend. Selbe Zeit wie heute.«
Ich legte auf und fühlte mich etwas besser und beschloss, nach drüben zu gehen, zu dem Grillfest. Zu meiner großen Freude wurde ich wie eine Heldin begrüßt, als wäre ich jahrelang fort gewesen statt nur ein paar Stunden. Dann wurde mir klar, dass sie alle mehr als nur beschwipst waren und sich
mit den geröteten Gesichtern und dem streitlustigen Gebaren so verhielten, wie es typisch ist, wenn man Tequila auf leeren Magen getrunken hat. Der qualmende Grill stand verlassen, auf dem Rost lagen mehrere verkohlte Klumpen, die vielleicht einmal Hamburger gewesen waren. Als Dad sich an mich heranschlich und fragte, ob ich eine Tafel Schokolade in der Tasche hätte, stellte sich heraus, dass es bisher nichts zu essen gegeben hatte.
Troy und Helen lagen auf einer geblümten Couch und sahen sehr intim miteinander aus; Kirsty war nirgends auszumachen. Entweder hatte Troy sie nicht mitgebracht, oder sie hatte sich geweigert, das Haus zu betreten, weil es ein Gesundheitsrisiko darstellte. Anna, Lara, Luis, Curtis und Emily führten eine erregte Diskussion über die Vorteile von Brunch gegenüber dem Fernsehen, der ich nur schwer folgen konnte, obwohl ich mich gern daran beteiligt hätte, aber ich war so offensichtlich auf einer anderen Wellenlänge – also nicht sturzbetrunken –, dass es sinnlos war.
»Beim Brunch kriegst du frisch gepressten Orangensaft«, sagte Lara heftig. »Wann hat dir dein Fernseher das schon mal serviert?«
»Aber du kannst die Simpsons gucken. Das ist doch allemal besser als Toast und Marmelade«, erwiderte Curtis.
Ich schlenderte weiter, zu Mum und Ethan, zwischen denen ein heftiges Streitgespräch entbrannt war. »Wer ist für unsere Sünden gestorben?«, fragte Mum mit schriller Stimme.
»Aber –«
»Wer ist für uns gestorben?«
»He –«
»Nun sag schon, komm, sag es! Wer ist für uns gestorben? Sag nur den Namen.« Es war wie ein Verhör. »Den Namen bitte!«
Ethan ließ den
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