Auszeit
wir tun, »versinken«, darin »aufgehen« und damit weitgehend »eins werden«. Gleichzeitig verhindert unser Gehirn, dass störende Reize unser Bewusstsein erreichen, vor allem werden Sorgen, Probleme und Grübeleien für eine gewisse Zeit abgewehrt. Denn wenn wir von einer Sache voll in Anspruch genommen sind, hat unser Arbeitsgedächtnis für sonstige Reize keine Kapazitäten mehr frei. So wie ein im Spiel versunkenes Kind das Rufen der Mutter nicht wahrnimmt und das Bauernmädchen den betenden Mullah am Wegesrand nicht bemerkte. Auch unser Ich tritt in den Hintergrund, und wir geraten in einen Zustand gesunder Selbstvergessenheit, in dem wir innerlich auftanken. Wenn wir mit unserer Aufmerksamkeit ganz im Hier und Jetzt sind, scheint die Zeit stillzustehen (ein Zustand, der auch das Ziel verschiedener meditativer Praktiken ist).
Die Frage ist nur, wie macht man das, mit ungeteilter Aufmerksamkeit ganz bei einer Sache zu sein? Denn wir haben ja keinen Schalter am Kopf, den wir bei Bedarf auf »Konzentration« umstellen können. Die Antwort findet sich letztlich schon in der Aussage des Bauernmädchens: Sie war ganz von dem Gedanken an ihren Geliebten erfüllt, da war kein Platz für etwas anderes. Das sind die beiden entscheidenden Faktoren: Erstens |107| ein mentaler Magnet , eine bestimmte Beschäftigung, die unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, sei dies nun ein Gedanke, eine Arbeit, ein Hobby oder ein Spiel. Je interessanter die Aufgabe, je faszinierender die Tätigkeit, desto stärker ist auch die mentale Magnetkraft, und desto geringer sind die Ablenkungschancen. Allerdings besteht immer noch die Gefahr, durch Unterbrechungen herausgerissen zu werden, sodass der zweite Faktor darin besteht, dass »kein Platz für etwas anderes« ist, also – soweit es geht – sich von allen potenziellen Störungen und Ablenkungen abzuschirmen: von Störungen durch Personen, durch Telefonate oder E-Mails, durch Lärm und so weiter. Die vielen Ablenkungen und Unterbrechungen von außen gehören zu den Hauptursachen, dass wir so selten ganz bei einer Sache sind.
Schaffen Sie in Ihrem Leben also wieder Inseln der Versunkenheit, ob bei der Lektüre eines guten Buches, beim Aufräumen oder bei der Gartenarbeit, durch Spiele und Sport, bei einem Hobby, aber genauso bei einer Arbeit, die Sie ganz in Anspruch nimmt. Das wird nicht nur dem Ergebnis Ihrer Tätigkeit zugute kommen, sondern Ihnen auch innerlich wohltun. – Vor allem aber, tun Sie das, was Sie tun, aus ganzem Herzen, ohne schlechtes Gewissen und den destruktiven Gedanken, Sie könnten oder müssten stattdessen eigentlich besser etwas anderes machen. Sonst ergeht es Ihnen wie in der folgenden Geschichte:
Zwei indische Kaufleute, die seit Jahren gute Freunde waren, wollten sich einen schönen Tag in einem Bordell machen. Sie gingen den Ganges entlang, es war ein kühler Morgen, und das Leben in der Stadt begann erst langsam sich zu regen.
Unterwegs bemerkten sie unter einem Banjabaum einen heiligen Meister im orangenfarbenen Gewand, um den herum sich eine Gruppe gläubiger Menschen geschart |108| hatte. Der eine unserer Freunde fühlte sich von diesem Heiligen so stark angezogen, dass er sich neben die Wissbegierigen hockte und sein ursprüngliches Vorhaben in den Wind schlug. Der andere ging weiter ins Bordell, wo er in den Armen einer hübschen Hure landete. Doch wie es so geht: Er war gar nicht so recht bei der Sache, weil er ständig daran denken musste, dass er nun die erbaulichen Gespräche mit dem heiligen Mann versäumt hatte wegen eines so wenig gottgefälligen Vergnügens.
Sein Freund dagegen, der neben dem Meister hockte, wurde von übergroßem Bedauern geplagt, weil er nicht doch mit ins Bordell gegangen war. Er malte sich in glühenden Farben aus, was der andere inzwischen wohl erlebte. So hörte er von den erhabenen Reden kaum ein Wort.
Keiner von beiden war zufrieden, keiner von beiden war im Hier und Jetzt.
Fragen zum Nachdenken
Bei welchen Tätigkeiten fällt es mir leicht, ganz bei der Sache zu sein?
Welche sind die häufigsten Störungen in meinem Alltag, die mich immer wieder daran hindern, für eine längere Zeit mit ganzer Aufmerksamkeit bei einer Sache zu sein?
Wie könnte ich es schaffen, häufiger in meinem beruflichen wie privaten Leben solche Inseln der Versunkenheit zu schaffen, in denen ich Störungen weitgehend ausschalte?
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|109| Mut und Selbstvertrauen
Es war einmal ein Löwe, der in einer Wüste lebte,
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