Auszeit
mitfühlenden und hilfsbereiten Haltung meist auch eine gute Portion Demut und Zurückhaltung einhergeht. Eine Haltung, die es nicht nötig hat, die eigene gute Tat auch noch an die große Glocke zu hängen. Schließlich, und das ist vielleicht sogar die häufigste Variante, gibt es viele Menschen, die in manchen Situationen sehr hilfsbereit sind und sogar bis an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten bereit sind zu geben und manchmal eher verschlossen bleiben, zumal es auch nicht möglich ist, immer und überall zu helfen. Entscheidend ist es wohl, berührbar zu bleiben für die Nöte anderer, gewissermaßen die Fenster frei zu halten, und zu erkennen, wann es ansteht, vom eigenen Wohlstand abzugeben – egal, wie »reich« man ist.
Doch kann noch eine ganz andere Ebene von dieser Geschichte berührt werden: Wie begegnen wir anderen? Mit dem offenen Blick (durchs Glas), oder blicken wir nur in den Spiegel unserer Bedürfnisse? Manchmal gelingt es uns wohl, die Menschen so wahrzunehmen, wie sie sind, ihnen zuzuhören und auf sie und ihre Bedürfnisse einzugehen. Oft aber sehen wir sie nur als Spiegel |99| unserer Anliegen, projizieren uns selbst auf sie und nehmen letztlich nur wahr, wovor wir uns fürchten und was wir wollen. Auch das ist normal. Entscheidend ist, wahrzunehmen, wann wir im Kontakt offen sind (also durchs Glas schauen) und wann wir im anderen nur uns und unsere Wünsche wahrnehmen (also gespiegelt werden).
Je klarer und bewusster wir mit uns selbst sind, umso häufiger können wir andere sehen, wie sie sind, und, egal wie reich wir sind, aus mitfühlendem Herzen helfen, wenn es ansteht.
Fragen zum Nachdenken
Wann erlebe ich mich eher verschlossen gegenüber den Nöten anderer?
In welchen Situationen bin ich bereit, aus Mitgefühl zu geben?
Was hilft mir, andere so wahrzunehmen, wie sie sind, und meine persönlichen Interessen außen vor zu lassen?
101
104
101
104
false
|101| Anderen helfen
Nahezu alle Weisheitsbücher der Welt fordern uns auf oder empfehlen, anderen Menschen zu helfen. Sei es Jesus, der sagte: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, oder Cicero mit den Worten: »Durch nichts ist der Mensch den Göttern näher, als wenn er seinem Nächsten Gutes tut.« Doch warum? Was ist der Lohn? Warum »lohnt« es sich, anderen zu helfen? Dafür mag es verschiedene Gründe und Motive geben. Am plausibelsten könnte es sein, dass ich tatsächlich dafür belohnt werde. Wie beispielsweise in der folgenden Geschichte:
Ein Löwe lag im Schatten eines Felsens und hielt Mittagsruhe , als eine kleine Maus, die auf dem Felsen spielte, über den Rand auf das Haupt des schlafenden Löwen fiel. Der Löwe wurde davon wach und packte die flüchtende Maus mit seiner Tatze.
»Verschone mich, oh König der Tiere! Wenn du mich auffrisst, so wirst du nicht satt davon. Lässt du mich aber leben, so kann ich dir vielleicht auch einmal aus großer Not helfen.«
Der Löwe lachte und sprach: »Wem in der Welt willst du schon helfen können? Aber was das Sattwerden betrifft, hast du Recht. Also geh’ weiter spielen und achte darauf, dass du mir nicht noch einmal vor die Nase fällst.«
Einige Tage später geriet der Löwe in die Fangnetze |102| eines Jägers, wo ihm all seine Kräfte nichts nützten, um aus der Falle zu kommen. Da brüllte er laut um Hilfe. Die Maus, die das Brüllen hörte, rannte herbei. Als sie den Löwen sah, wie er sich in den Netzen des Jägers verfangen hatte, sagte sie zu ihm: »Erkennst du mich? Ich bin die kleine Maus, der du das Leben geschenkt hast.«
Und sie begann, mit ihren spitzen Zähnen das Fangnetz zu zernagen.
So kam der Löwe bald frei, und die Maus war stolz, dem König der Tiere das Leben gerettet zu haben.
Auch wenn man es nicht erwartet, könnte es sein, dass der, demgegenüber man sich großzügig gezeigt hat, einem später selbst einmal helfen kann. – Doch die Tat kann den Lohn auch direkt mit sich bringen:
Zwei Forscher gerieten im Hochgebirge von Tibet in einen Schneesturm. Da sahen sie plötzlich einen Mann, der im Schnee den Abhang hinuntergestürzt war und hilflos an einem Felsvorsprung hing. Der eine Forscher wollte sofort hinuntersteigen und dem Verunglückten helfen. Der andere weigerte sich mitzugehen. »Niemand kann von mir verlangen, dass ich mich um jemanden bemühe, während ich selbst in Gefahr bin, umzukommen«, sagte er. »Immerhin «, meinte der erste, »wenn wir schon sterben müssen, ist es gut, wir sterben, indem wir anderen
Weitere Kostenlose Bücher