Ausziehen!
Schulkindern vorbeigefahren sein, hatte mich tief erschüttert.
»Dünger?«
»Stimmt irgendwas nicht mit Ihnen?«
»Dünger?«, fragte ich erneut.
»Für Ihren Rasen.«
»Wissen die tüchtigen Bürger von L.A., dass Sie halb Kalifornien durchquert haben, um mir Tipps für meine Rasenpflege zu geben?«
»Unsere Polizeidienststelle bietet jetzt den vollen Service an.«
Sollte das ein Witz sein? Ich starrte ihn offenbar an, als seien ihm Tentakel gewachsen, denn er hob spöttisch eine Braue.
»Ich würde meine Gartenberatung jedoch kurz unterbrechen, wenn Sie ein Geständnis ablegen möchten«, sagte er.
»Haben Sie denn immer noch keine Hinweise?«, fragte ich.
Seine Augen waren südländisch schwarz, aber seine Haare, auf denen sich die untergehende Sonne spiegelte, schimmerten rötlichbraun. Seine Mundwinkel zuckten wieder, als würde er sich prächtig über mich amüsieren. »Ich habe Sie«, sagte er, »die einen verwirrten Eindruck machte und sich am Tatort befand.«
»Welches Motiv?«
Er zuckte mit den Schultern. »Eifersucht.«
»Auf wen oder was?«
»Sagen Sie es mir.«
»Hören Sie, in dieser Stadt gibt es zehn Millionen Menschen. Reden Sie doch mit denen. Oder lesen Sie Bomstads Tagebuch, oder -«
Gott sei Dank unterbrach er mich, bevor ich etwas sagen konnte, das mich wünschen lassen würde, nie geboren worden zu sein. »Genau dazu habe ich noch ein paar Fragen«, sagte er. »Warum glauben Sie, dass es ein solches Tagebuch überhaupt gibt?«
Mir fielen ein halbes Dutzend ziemlich klugscheißerische Antworten ein, doch ich entschied mich wohlweislich dafür, Reife zu beweisen. Möglicherweise hatte ich das in letzter Zeit nicht genügend getan. »Mr. Bomstad hat einige Male auf ein Tagebuch hingewiesen. Er hat schon vor Jahren damit begonnen, eines zu führen und mir von verschiedenen Einträgen erzählt.«
»Während Ihrer …« Er legte den Kopf auf die Seite, als würde er nach den passenden Worten suchen. »… gemeinsamen Zeit?«
»Ganz genau. Während unserer Sitzungen.« Ich biss die Zähne zusammen. Er reizte mich mit voller Absicht. Aber selbst dieses Wissen konnte meinen Drang nicht schmälern, ihm ins Gesicht spucken zu wollen. »Ich bin Psychologin, Mr. Rover. Vielleicht erinnern Sie sich ja daran?«
»Und Sie fanden es nicht eigenartig, dass ein Tight End der Lions ein Tagebuch führt, Ms. McMullen?«
»Nein, fand ich nicht.«
»Weil er so ein feinfühliges Seelchen war?«
Ich schürzte die Lippen und zählte bis zehn. »Ich hatte keinerlei Grund, seinen Aussagen keinen Glauben zu schenken.«
»Halten Sie sich für naiv, Ms. McMullen?«
»Jetzt hören Sie mir mal zu!« Langsam reizte er mich fast bis aufs Blut. Was wirklich blöd war, da sich das El Charro am anderen Ende der Stadt befand und ich immer einen Mordsappetit auf Mexikanisches bekam, wenn ich wütend wurde. »Weder bin ich kriminell, noch befinde ich mich üblicherweise in der Gesellschaft von Kriminellen.« Ich warf ihm einen bösen Blick zu, den ich von meiner Mutter geerbt und während meiner Zeit als Cocktail-Kellnerin noch trainiert und geschärft hatte. »Er hat mich als seine Psychoanalytikerin gewählt. Ich habe ihn psychoanalytisch behandelt. Wenn ich jeden zweiten seiner Sätze angezweifelt hätte, wäre es unmöglich gewesen, ihm zu helfen.«
»Wenn Sie seine Ausführungen hinterfragt und nicht gleich jede seiner Lügen geglaubt hätten, wäre er jetzt vielleicht noch am Leben, anstatt das Gehirn seziert zu bekommen, während wir hier miteinander plaudern.«
Bei der Vorstellung wurde mir ein wenig übel, aber da er vielleicht genau das beabsichtigt hatte, fuhr ich fort: »Projizieren Sie da gerade Ihre Verantwortung, Raver?«
»Wie bitte?«
»Die Tendenz, Ihre eigenen Unzulänglichkeiten auf andere Leute abzuwälzen. Wir nennen das Projektion.«
Er trat einen Schritt auf mich zu. Ich konnte die Wärme spüren, die sein Körper ausstrahlte. »Auf welche Unzulänglichkeiten spielen Sie genau an, Ms. McMullen?«
Ich spürte, wie der Sauerstoff langsam aus meiner Lunge wich, und lehnte mich zurück. »Ich meinte nur, dass -«
»Wo ist das verdammte Tagebuch?«
Mit einem Schlag war mir plötzlich alles klar. Ich legte den Kopf auf die Seite, um seine dunklen Gesichtszüge besser betrachten zu können. Dies hier war ein Moment, den ich auch später noch genießen wollte, vielleicht während meine Zellengenossin mir ihren Namen in den Bizeps ritzen würde. »Habe ich das eben richtig
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