Autobiografie einer Pflaume - Roman
dir oft erlaubt, mit dem Revolver zu spielen?»
«Nein. Ich wusste gar nicht, dass sie einen hat.»
Ich traue mich nicht zu sagen, dass ich geschnüffelt habe.
Raymond kaut an seinem Bleistift wie an einem Kräuterstängel.
«Und was ist dann passiert?»
«Ich bin mit dem Revolver nach draußen gegangen und habe damit gespielt.»
«So was ist kein Spielzeug.»
«Das hast du schon mal gesagt, Monsieur. Wenn du da gewesen wärst, hätten wir schussern können.»
«Ich habe doch gesagt, du sollst Raymond zu mir sagen. Na gut, hast du mit dem Revolver geschossen?»
«Ja, weil ich den Himmel umbringen wollte.»
«Du wolltest den Himmel umbringen?»
«Ja, den Himmel, weil dieWolken nichts als Pech auf uns pinkeln und Mama hinterher viele Bierchen trinkt und die ganze Zeit schreit und mir Backpfeifen und Abreibungen verpasst, dass man auf meinen Backen und Pobacken jeden einzelnen Finger sieht.»
«Deine Mama hat dich geschlagen?»
«Normalerweise wenn ich eine Dummheit mache, aber manchmal wegen nichts und wieder nichts, so wie ihr Geschrei, und dann gehe ich auf den Speicher und schlafe bei den Äpfeln.»
Raymond macht sich in seinem kleinen Heft irgendwelche Notizen und zeigt dabei die Zunge, und darüber muss ich lachen.
«Was findest du so komisch, mein Junge?», fragt mich Raymond mit seiner lauten Stimme.
«Du lässt die Zunge raushängen wie der dicke Marcel, wenn er abschreiben muss, was die Lehrerin vorgeschrieben hat.»
Der Gendarm lächelt und kratzt sich wieder am Kopf, und ich frage ihn, ob er Läuse hat, und er antwortet mir, als würde er schlecht hören:«Und hast du auch auf deine Mama geschossen? »
«Das war keine Absicht. Sie wollte mir den Revolver wegnehmen. Sie war sehr wütend und hat gesagt, ich wäre so blöd wie mein Papa, und dann ist der Schuss von allein losgegangen. »
Ich gebe mir keine Mühe, die Tränen runterzuschlucken, die mich auf einmal in der Kehle kitzeln; sie quellen mir aus den Augen, und ich kann nichts mehr sehen.
«Ist schon gut, mein Kleiner, ganz ruhig, da, nimm mein Taschentuch.»
Und ich reibe mir die Augen mit dem Taschentuch, und weil meine Nase voll ist, schnäuze ich mich auch.
«Hast du Verwandte, mein Junge?»
«Nein, niemanden außer Mama.»
Und ich gebe ihm sein Taschentuch zurück, das er einsteckt.
«Gut, dann kommst du mit mir auf die Gendarmerie, und dann wenden wir uns an den Jugendrichter.»
«Ist das der Monsieur, der mit dem Hammer klopft und die Bösewichter ins Gefängnis schickt?»
«Du bist kein Bösewicht, mein Junge, und du bist zu klein, um ins Gefängnis zu kommen. Der Richter wird dich in ein Haus schicken, wo andere Kinder sind.»
«Und Mama, kommt die auch?»
Raymond kratzt sich am Kopf und sagt:«Deine Mama wird immer in deinen Gedanken und in deinem Herzen sein, mein Kleiner, aber sie ist nicht mehr bei uns.»
«Ist sie in die Stadt gefahren?»
«Nein, mein Kleiner, sie ist im Himmel, bei den Engeln.»
«Nein», sage ich.«Sie ist nicht bei den Engeln, sie ist bei Papa.»
Als wir auf die Gendarmerie kommen, sagt ein Gendarm lachend:«Na, Raymond, hast du einen Assistenten mitgebracht?», und Raymond schaut ihn an, und der Gendarm schaut seine Schuhe an.
Ich setze mich in sein Büro, und der Gendarm, der nicht lacht, bringt mir Kakao in einem Plastikbecher und bleibt bei mir, während Raymond in dem Büro nebenan telefoniert, und fragt mich, was ich angestellt habe, und ich sage, dass ich nicht den Himmel, sondern Mama mit dem Revolver erwischt habe, und der Gendarm starrt mich mit offenem Mund an, bis Raymond wiederkommt.
«Dugommier, pass auf, dass du dir nicht den Kiefer ausrenkst! Nicht dass du Maulsperre bekommst. Hol mir lieber einen Kaffee.»
Dann wendet er sich an mich.«So, mein Kleiner, ich habe mit dem Jugendrichter gesprochen, und ich bringe dich nach Fontainebleau in ein Heim, wo ein Platz frei ist. Dem Richter wirst du später vorgeführt.»
«Was ist ein Heim?»
«Das ist ein großes Haus mit vielen Kindern und mit Heimbetreuern, die sich um dich kümmern.»
«Was sind Heimwehstreuer ?»
«Ein Heimbetreuer ist ein Monsieur oder eine Dame, die sich um dich kümmern.»
«Und verpassen die Heimwehstreuer einem eine Abreibung? »
«Nein, und sie schreien einen auch nicht an, solange du ihnen nicht das Leben zur Hölle machst, aber wie ein Schreihals kommst du mir nicht vor, mein Kleiner.»
Ich spüre, wie es in meinem Hals kitzelt, und ich schlucke meine Tränen runter.
Ich
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