Autobiografie eines Lügners
vierzehn Jahre alt ist und vor neun Monaten von zu Hause durchgebrannt ist?«
Ich sagte: »Ich würde Ihnen genau das sagen, was ich Ihnen gerade erzählt habe –, genau das ist geschehen.«
Wenn es nicht so gewesen wäre, käme einem sofort das Wort »Kindesentführung« in den Sinn, aber ich hatte versucht herauszufinden, wo seine Eltern waren usw. usw. ….
Und so war natürlich im Rahmen der routinemäßigen polizeilichen Untersuchung des Bergnotrettungseinsatzes tatsächlich seine Heimatadresse herausgefunden worden; sein Vater kam, um ihn abzuholen ….
Es dauerte ein bißchen, bis er kam. Es ist nicht weit von Liverpool zum Pen-Y-Gwryd –, etwa zwei Stunden Fahrt, aber sein Vater brauchte fünf. Ich dachte: »Wenn das mein Sohn wäre, wäre ich aber blitzartig dagewesen.«
Aber nachdem ich seine Verzögerung mit einer gelupften Augenbraue kritisiert hatte, kamen Johns Vater und ich sehr gut miteinander aus. Wir kamen beide zu dem Schluß, daß John, wenn er nach Huyton, Liverpool, zurückgebracht würde, nur wieder abhauen würde. Johns Mutter war etwa fünf Jahre zuvor gestorben, und sein Vater mußte sich alleine um vier weitere Kinder kümmern. Er war ein stolzer Mann und wollte sie verständlicherweise nicht in ein Kinderheim abschieben. John war gebeten worden, von einem ziemlich strengen römisch-katholischen Gymnasium abzugehen, und ein zweites schwänzte er konsequent. Wir fragten ihn: »Würdest du wieder zur Schule gehen, wenn du in London bleiben dürftest?« – »Ja«, sagte John. So wurde er formlos mein Mündel und ich sein Vormund.
Ein seltsames Gefühl, plötzlich ein heranwachsendes »Kind« zu haben. All meine väterlichen Instinkte kamen hoch. Meine Erfahrungen mit Brendan und Jimmy hatten mir gezeigt, daß dies Verhaltensmuster angeboren ist: Plötzlich war es haargenau so, als wäre John mein Sohn.
Bevor er nach London zurückkam, verbrachte John ein paar Wochen bei seinem Vater. Wir wollten nach Jersey, um ein paar Python -Filmchen zu drehen, und John kam gerade rechtzeitig zurück nach London, um mich auf diesem Trip zu begleiten. Ich war sehr froh, ihn zu sehen, David war sehr froh, ihn zu sehen, Brendan war sehr froh, ihn zu sehen. Unsere Wohnung war sein Zuhause. Brendan baute sogar mit ihm zusammen einen neuen Käfig für unsere weißen Mäuse.
Die örtliche Revierwache, die Revierwache von Hampstead, rief an genau dem Vormittag an und sagte: »Wir würden uns gern mit Ihnen, Herr Dr Chapman, in der Angelegenheit John Tomiczek unterhalten.«
Ich sagte: »Oh. Na gut, ja, schön.«
»Sollen wir zu Ihnen nach Hause kommen?«
»Nein, nein, ich komme auf die Wache, keine Sorge.« Dann sagte ich ihnen: »John ist zufällig gerade da –, soeben eingetroffen.«
»Ja? dann bringen Sie ihn lieber mit.«
John und ich gingen auf die Revierwache. Wir hatten noch etwa drei Stunden bis zum Abflug nach Jersey und wurden zwei davon zum Verhör dabehalten, wobei John ergrimmter befragt wurde als ich; ich war schließlich Arzt. Ein ziemlich nervöser Sergeant Greene vom CID, dem Criminal Investigation Department, der Filiale Hampstead für Perverse, verhörte mich. Irgendwann faßte er dann genug Mut: »Es gibt da etwas, was ich Sie fragen muß, Herr Dr Chapman.« Nach einer langen Pause: »Sind Sie homosexuell?« Ich sagte: »Ja.« Er hatte die bequemere Antwort »Nein« erwartet, und dann wäre alles in Ordnung gewesen. Wir hätten wieder gehen können. Aber da ich mehrere Artikel veröffentlicht hatte, in denen ich erklärt hatte, daß ich homosexuell war, fand ich nicht, daß ich »Nein« sagen konnte. Und ehrlich konnte ich ohnehin nicht »Nein« sagen, aber sie mußten das offensichtlich alles überprüfen, um sicherzugehen, daß zwischen John und mir nichts »lief«.
Dann versuchten sie, mit seinem Vater Kontakt aufzunehmen, erreichten ihn auch irgendwann telefonisch und sagten zu ihm: »Ich nehme an, Sie haben die Erlaubnis gegeben, daß Ihr Sohn mit Graham Chapman nach Jersey reist.«
Der Vater sagte: »Ja, das stimmt.«
Dann sagte die Polizei: »Haben Sie gewußt, daß Dr Chapman homosexuell ist?« und er sagte: »Ja.«
Und dagegen konnten sie nichts machen, »obwohl sie es besser wußten«. Und wir kriegten unseren Flieger nach Jersey ….
Es mag die Polizei überraschen, aber ich glaube zufällig fest daran, genau wie jeder Homosexuelle, den ich je kennengelernt habe, daß es für jedermann, egal welchen Geschlechts, zutiefst antisozial und unsensibel ist, einem
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