AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

ganzen Garten. Darunter hat der Bärlauch kleine weiße Sternchenblüten, die Blätter schmecken nach Knoblauch. Hinten im Garten, zwischen Lerche und Kirschbaum, blüht ein riesiges blaues Kissen von Vergissmeinnicht. Links neben der Terrasse beginnt der Storchschnabel zu blühen, seine Blätter duften so einzigartig, es macht Spaß, an dieser Stelle Giersch zu jäten. Am Sonntag habe ich soviel Löwenzahn geerntet, damit könnte ich mich auf den Markt stellen. Die 50 roten Tulpen links im Beet habe ich schon geschnitten, aber dafür blühen jetzt hier der kleine Apfelbaum und die Magnolie. Beide in Dunkelrot-Violett. Auch unsere Erdbeeren und die Walderdbeeren blühen gerade und bedecken schon eine große Fläche. Flora ist letztes Jahr da schon immer hingekrabbelt, um die besonders süßen kleinen Beeren zu pflücken. Mit meinem Kaffee sitze ich auf der Gartenbank und fülle mit einer großen Gießkanne die Eimerchen meiner Kinder nach, bis unsere Vogeltränken neu und frisch gefüllt sind. Leon trägt im Garten immer seinen grünen geblümten Gärtnerhut und die dazu passenden Gartenhandschuhe. Wir spielen Fangen, Verstecken und Ball, Flora ist einfach so dabei. Es ist so schön zu beobachten, wie beide Kinder jetzt beginnen zusammen zu kommunizieren und auch etwas Gemeinsames zu tun. Leon erklärt Flora gerne die Welt, und ihr liebstes Wort ist »Nein«. Gerade 2 Jahre alt, und man kann wunderbar mit ihr diskutieren. Über die Sockenfarbe oder den Sinn des Zähneputzens. Auch Leon lässt sich nur ungern etwas von mir sagen:
    »Leon, ich glaub’ ich spinne. Hörst du bitte auf, das Butterbrot über unsere Fensterscheibe zu schmieren?«
    »Ruhe im Karton!«, kreischt er dann jedes Mal, wenn egal wer ihm dumm kommt.
     
    Abend.
    Mein Handy klingelt. JUHUU, wie nett, Marc ruft zurück. Aber es ist Felix, für die Scheidung braucht er noch ein paar Unterlagen und will morgen Abend kurz vorbei kommen.
    Ich lege mich aufs Sofa und schau nach draußen. Es ist ein so schöner Abend, der Himmel färbt sich rosa, und ich höre die Vögel in den Bäumen zwitschern. Neben dem Flieder hängt ein Vogelhäuschen, in dem Meisen ihre kleine Kinderstube eingerichtet haben. Frohen Mutes rufe ich Marc an, aber er geht nicht ran.
    Meine aktive Partnersuche ist hiermit beendet. Von mir kommt keine Initiative mehr. Ich bin auch so ganz glücklich!
     
    Die E-Mail an Phillip schicke ich nicht mehr ab.
     
    Lieber Phillip,
    und genau das ist es, was ich an dieser Plattform so schrecklich finde. Man wird ja dazu ermuntert, täglich mehrere Anfragen zu verschicken. Aber allein schon den Gedanken, dass da jemand mit mir und zeitgleich mit anderen flirtet, finde ich so elend unromantisch. Richtig Spaß macht es mir nur, wenn ich mich auch emotional auf den anderen einlassen kann und das Gefühl vermittelt bekomme, die einzig Auserwählte zu sein. Wie sollte man sich denn sonst von Herzen füreinander begeistern?
    Übrigens bin ich auf der Suche nach einem kreativen Partner, davon gibt es hier nicht viele! Wir hätten zusammen bestimmt Spaß, uns über die Erlebnisse hier auszutauschen! Vielleicht bei einem Kaffee?
    Viele liebe Grüße,
    Gill
     
    Donnerstag, 3. Mai 2012
    Nacht.
    Es ist die zweite Nacht, in der Flora fiebert. Kaum bin ich eingeschlafen, möchte sie wieder etwas trinken. Ich bin hundemüde und hole den Fiebersaft aus der Küche und gebe ihr einen Löffel. Ich mache das Licht wieder aus und höre Flora zu, wie sie unruhig vor sich hin jammert. RRRRRING! Der Fahrradklingelton vom Handy. ACH SO, die Ladezeit ist beendet, ich kann es wieder aus der Steckdose nehmen. Ich stehe auf und sehe, dass eine SMS angekommen ist.
     
    SMS von Marc
    2:15, 4 Mai.
     
    ich denke seit deinem anruf sehr oft an dich..
     
    Am liebsten würde ich sofort anrufen. Aber HALT, ich schlafe doch schon. Das würde mich jetzt alles viel zu sehr aufwühlen, und ich brauche meinen Schlaf. Außerdem stehe ich jetzt nicht rund um die Uhr zur Verfügung. Es könnte peinlich sein, wenn er sturzbetrunken ist. Männer sind wie Omnibusse, irgendwann kommt immer einer vorbei. Aber hoffentlich ist der nicht voll!
    Noch peinlicher für mich, wenn ich mich hier am Telefon dazu verführen ließe, ungezogene Sachen zu sagen. Ich möchte ihn unbedingt treffen und mich ihm auch auf freundschaftlicher Ebene nähern. Das ist mir besonders wichtig, eh das hier wieder in die sexuelle Richtung geht. Noch kenne ich seinen Nachnamen nicht, da bin ich auf der Hut.
    Als ich ihn