AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating
Wahrscheinlich ist er häufig krank und muss dann tagelang im Bett liegen. Wer kauft dann für ihn ein und kocht? Er erzählte ja, dass seine Eltern in Wiesenwald leben. Bestimmt wohnt er in der Nähe von ihnen. Aber wenn er wegen der Krankheit häufig ausfällt und deshalb beruflich nicht weiter kommt und finanzielle Schwierigkeiten hat, dann wohnt er bestimmt bei den Eltern, in seinem Kinderzimmer. Das ist ja noch die Steigerung von eingesperrt. Er hat keinen Telefonanschluss und auch kein Internet. Vermutlich auch kein Fernsehen und kein Geld für eine Telefonkarte. Das bedeutet, er kann sich einen Anruf bei mir gar nicht leisten, oder kommt nicht raus, um sich eine neue Karte zu kaufen. Dann ist er also seit zwei Wochen völlig hilflos seinen Eltern ausgeliefert, die womöglich die einzigen sind, die sich mit ihm täglich unterhalten. Oder er telefoniert über deren Festnetzanschluss munter mit der ganzen Welt, nur mit mir nicht. Ich bin doch keine verbotene Frucht, sondern ein ganz normaler Mensch, der sich über jede Kommunikation freut.
Wie sehr muss er sich ein anderes Leben wünschen? Mir fällt ein, dass er in seinem Profil geschrieben hatte: Ich kann es nicht leiden, wenn...»Menschen die mir nahe sind wegen mir traurig sind.« Jetzt verstehe ich auch erst, was er damit gemeint haben könnte. Eine andere Zeile war mir auch aufgefallen: In fünf Jahren möchte ich... »...auf die wundervollste Art immer noch ich selbst sein und gleichzeitig erlöst sein und Du und alle sollen ein Teil davon sein...«
Mittag.
Ich finde im Kindergarten eine einsame, vor sich hin trocknende Weinbergschnecke in der Sonne liegen. Ich nehme sie schnell hoch und werfe sie in den Schatten. Sie tut mir so leid.
MARC, DAS 2. TREFFEN
Donnerstag, 24. Mai 2012
Nachmittag.
Mit Leon und Flora bin ich im Garten. Für einen Maitag ist es heute ungewöhnlich heiß, aber unter dem Ahorn haben wir sehr viel Schatten, das ist ganz angenehm, und ich muss die Kinder nicht eincremen. Leon bringt mir gegen Viertel vor vier ein Blatt:
»Mama, ich habe hier ein zehnblättriges Kleeblatt für Dich gefunden. Das bedeutet, dass heute dein Glückstag ist.«
Ich gehe rein und schaue direkt auf mein Handy. Ob das wohl stimmt mit dem Glückstag?
SMS an mich
14:33, 24 Mai
hättest du zeit heute nachmittag? bist du bei dir?
SMS an ihn
15:50, 24 Mai
Ja klar. die Kinder sind auch da...
Ich bin total aufgeregt. Ziehe sofort mein bestes neues T-Shirt an, das ich mir am Dienstag gekauft habe. Es ist türkisblau und darauf sind bunte Papageienfedern aufgedruckt. Dazu trage ich einen luftigen Jeansrock und meine heißgeliebten blau-weiß gestreiften Plastiklatschen.
Um 17 Uhr klingelt es tatsächlich. Ich kann es kaum glauben. Ich mache die Tür auf und schaue um die Ecke und... da steht er mit großen Augen, völlig fertig. Er kommt rein und erzählt, wie schwer es war, hierher zu finden:
»Deine Straße ist aber nicht so bekannt hier in Wiesenwald. Selbst die in der Buchhandlung konnten mir nicht helfen. Ich habe fünf Leute gefragt.«
Als er so da steht im Flur, breite ich meine Arme aus und falle ihm mit den Worten »Herzlich Willkommen« um den Hals. AHA, er nimmt Myrtolkapseln 38 , wie ich rieche. Er ist wirklich krank.
»Das sind Leon und Flora. Und das ist Marc«, stelle ich alle miteinander vor.
Wir gehen in den Garten, und ich platziere ihn auf die Gartenbank.
»Ich hol’ dir schnell noch ein Glas.«
Dann schenke ich uns Apfelschorle ein. Hoffentlich sieht er nicht den Kalkrand. Wir sitzen jetzt endlich zusammen auf meiner Bank im Garten. Die Kinder spielen.
»Wie hast du dir bloß diese Lungenentzündung eingefangen?«, will ich wissen.
»Ja das ging gleich unmittelbar nach unserem Telefonat Samstagabend los. In der Nacht wurde ich richtig krank. Am Montag beim Arzt habe ich dann das Antibiotikum verschrieben bekommen. Mittwochabend hatte ich eine allergische Reaktion am ganzen Körper, außer am Hals, den Händen und den Füßen. Das sah aus wie ganz schlimmer Sonnenbrand. Rote Stellen auf denen sich eine Kruste bildete. Dazu habe ich eine ganz schlimme Depression bekommen und konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen. Meine Mutter hat mich nachts ins Krankenhaus gefahren, und die haben mir sofort ein Gegenmittel gespritzt. Dabei konnte man regelrecht zusehen, wie sich die Flecken auf der Haut sofort zurückbildeten. Hier auf der Brust habe ich noch eine Narbe.«
Ich kann gar nicht aufhören ihn
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