AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating
hatte sie viel dichter in Erinnerung, als er im Mai da war und sie aus seinem Hemd, das er oben offen trug, hervorschauten.
»Hast du deine Haare geschnitten? Ich habe sie viel länger und dichter in Erinnerung. So oft habe ich an deine Brusthaare gedacht.« Ich lege mein Gesicht hinein. Behaart wie ein Affe. Ich bin überglücklich.
Die ganze Zeit, den ganzen Abend schon, habe ich einen Tipp aus einem Ratgeber im Kopf, der sich irgendwie festgesetzt hat: »Männer mögen entspannte Frauen. Deshalb sollten sie beim Date nicht verlegen die Lippen zusammenkneifen, sondern lächeln, lächeln, lächeln. Und den Mund entspannen. Dann wirken die Lippen voller, und sie strahlen Selbstsicherheit aus. Das wirkt extrem anziehend. Mit diesem kleinen Trick werden sie ihn völlig um den Finger wickeln.« Aber um den Finger gewickelt hat er mich doch. Gerade eben.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Ich liege. Er ist da und massiert mich. Immer, wenn ich hoch schaue, sehe ich seine Augen. Seine Anwesenheit wirkt beruhigend auf mich. Immer wieder schaue ich nach, ob er wirklich da ist und finde seinen Blick. Er masturbiert. Unsere Finger sind ineinander verschränkt, und wir sehen uns lange an.
»Ich hatte schon so viele Orgasmen wegen dir.«
Ich knie mich aufs Sofa, damit er mich von hinten sehen kann. Es erregt mich wahnsinnig, ihm meinen nackten Körper zu zeigen. Ich wundere mich darüber, dass zwei Menschen so etwas tun. Tun müssen. Aber ich fühle mich dabei so frei. Er fasst mich an. Seine Finger sind in mir. Meinen Kopf habe ich an die Wand gelehnt und beobachte ihn hin und wieder aus dem Augenwinkel.
»Ich will ihn dir reindrücken und mich nicht mehr bewegen. Ich will jede einzelne Bewegung von dir spüren.«
Langsam begreife ich, dass er das alles nur sagt, aber gar nicht tun wird. Jedenfalls nicht heute.
Es ist ein Verlangen, das plötzlich da ist, einfach so. Ich will, dass er mich schlägt.
»Komm, hau mich mal. Los, hau mir mal auf den Hintern!«
Ich sehe, wie er seine Hand betrachtet und dann feste zuschlägt. KNALL. KLATSCH. Links, rechts und PATSCH in den Schritt. Es brennt. Ich stöhne. LAUT. Erleichtert. In meinem Kopf höre ich BEAVIS AND BUTT-HEAD 61 schmutzig lachen. Endlich verliere ich die Spannung, die sich, seit ich ihn kenne, angestaut hat.
»Ich will dir deine Hände auf den Rücken fesseln und dich so lange schlagen, bis du schreist vor Erregung und winselst und bettelst, doch endlich von mir gefickt zu werden.« Jetzt hinterlasse ich einen Lippenstiftabdruck an der Wand. Direkt unter dem Bild. Ich drehe mich um und sehe, wie er vor mir kniet und immer schneller masturbiert.
»Ich will auf dir sitzen und dich reiten«, sage ich.
Sein Handy gibt einen Alarmton.
»Ich habe mir für die letzte Bahn einen Wecker gestellt.«
Flora weint.
»Ich geh kurz hoch und gebe ihr was zu trinken.«
Wann har er den Alarm eingestellt? Als ich kurz im Bad war oder auf dem Weg zu mir? Oder hat er diese Funktion dauerhaft eingestellt? Denn von überall her muss er ja seine letzte Bahn bekommen.
»SO da bin ich wieder.«
»Kannst du nochmal das Licht anmachen und dich für mich ausziehen?«, bittet er. Vielleicht ist das der männliche Versuch, eine Frau zu begreifen, ihr Wesen zu verstehen, ihre Identität zu durchschauen?
Ich mache das Licht an und ziehe mich aus. Nackt sitze ich auf dem Sofa. Ich kann mein Spiegelbild unter dem Bild JUKEBOXHEROES im Fenster sehen, es ist halb verdeckt durch ihn. Er steht vor mir und masturbiert. Ich lächle, meine Lippen sind entspannt. Wahrscheinlich wundert er sich, dass ich den ganzen Abend denselben Gesichtsausdruck habe. Will er jetzt, kurz vor der letzten Bahn, noch zum Schuss kommen? Er schaut mich an und nickt mehrmals unmerklich, als würde er das Bild von mir mit seinen Augen abfotografieren und in seinem Kopf mit nach Hause nehmen. Um mich dann immer und immer wieder mit seinem riesigen Pinsel zu malen.
»Hat es dich erregt, als ich am Telefon sagte, dass ich vorbeikomme?«
»Ja«, lüge ich, denn ich war eher erleichtert, dass es ihm gut geht und voller Freude ihn wiederzusehen. Aber er nickt zufrieden.
»Macht es dir Spaß, dich für mich auszuziehen?«
»Ja, es gefällt mir sehr.« Das stimmt.
»Meintest du diesen Raum mit Aquarium, weil hier so große Fenster sind?«
»Ja.« Es scheint ihm wichtig zu sein, dass ich hier saß, als wir über QuickCloud gechattet haben. Vielleicht hat sich heute auch für ihn ein Traum erfüllt?
»Willst du mit mir
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