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Antwort.
Er öffnete die Tür seines Audi.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter und hinderte ihn am Einsteigen. Eine andere Hand warf die Tür wieder zu. Eine dritte Hand wirbelte ihn so heftig herum, daß er fast seine Brille verloren hätte. Drei Männer. Der Schnee verschleierte ihre Gesichter.
»Bitte, ich bin ein alter Mann. Nehmen Sie meine Geldbörse, aber tun Sie mir nicht weh.«
»Die Geldbörse?« Einer der Männer lachte.
Das Schneegestöber ließ einen Moment nach. Als er daraufhin ihre Gesichter erkennen konnte und verstand, was sie wirklich wollten, überkam ihn Verzweiflung.
4
Manchmal werden wir nicht durch ein Geräusch geweckt, sondern durch dessen Ausbleiben, also die Stille. Diesem Umstand war es zuzuschreiben, daß William Miller sich in unbewußter Wahrnehmung der Stille vor seinem Schlafzimmerfenster unruhig im Schlaf herumzuwälzen begann. Wie bei einem Vater, der ungeduldig auf die Heimkehr seines halbwüchsigen Sohnes von einer Party wartet, war seine Unruhe auf das Ausbleiben jeglicher Geräusche zurückzuführen, welche die Ankunft des Spätheimkehrers angekündigt hätten. Kein Wagen näherte sich dem Haus, kein Garagentor hatte sich scheppernd geöffnet und geschlossen. Doch William Miller war kein Vater, der auf seinen Sohn wartete. Im Gegenteil, er war ein Sohn, der auf seinen Vater wartete. In seinem Kopf wurde ein Alarm ausgelöst. Er schlug die Augen auf und sah blinzelnd auf den Wecker neben seinem Bett.
Zwei Uhr achtunddreißig.
Sorgsam darauf bedacht, seine Frau nicht zu wecken, erhob er sich, um durch das Schlafzimmerfenster auf die Zufahrt zum Haus hinabzuspähen. Der dicht fallende Schnee hob sich deutlich gegen den Schein der Straßenbeleuchtung ab. Die Kiefern waren weiß überzuckert. Auf der Zufahrt waren keine Reifenspuren zu sehen.
»Was ist denn, Schatz?«
Er drehte sich zu seiner Frau herum. »Tut mir leid - ich wollte dich nicht wecken.«
»Ich konnte auch nicht schlafen. Was gibt's denn dort draußen zu sehen?«
»Es ist eher das, was ich nicht sehe, das mir Sorgen macht.«
Miller erklärte seiner Frau die Gründe seiner Besorgnis.
»Keine Reifenspuren?« Sie glitt aus dem Bett und schlüpfte in ihren Bademantel. »Vielleicht sind sie bereits wieder zugeschneit.«
»Ja... vielleicht.«
Er verließ das Schlafzimmer und ging an den Zimmern der Kinder vorbei zum Zimmer seines Vaters am hinteren Ende des Flurs. Als er niemanden im Bett liegen sah, schaltete er das Licht ein. Das Zimmer war leer.
Seine Frau tauchte neben ihm auf. »Laß uns doch erst mal in Ruhe überlegen. Das hat noch lange nichts zu bedeuten. Vielleicht ist er vor dem Fernseher im Wohnzimmer eingeschlafen.«
»Ja, vielleicht.«
Sie gingen nach unten, konnten ihn aber nirgendwo finden.
»Vielleicht hatte er Probleme mit dem Wagen?«
»Dann hätte er bestimmt angerufen«, entgegnete Miller.
»Und wenn er nicht allein ist?«
»So spät noch? Er kommt doch sonst spätestens bis Mitternacht nach Hause.«
»Du hast mich nicht richtig verstanden. Vielleicht wollte er die ganze Nacht in Gesellschaft verbringen.«
»Du meinst, mit einer Frau?«
Sie lächelte. »Warum nicht?«
»Deswegen hätte er doch trotzdem angerufen.«
»Und wenn es ihm peinlich gewesen wäre?«
»Was?«
»Na ja, deine Mutter ist erst ein Jahr tot und...«
»Hey, ich habe meine Mutter sehr gemocht. Aber wenn er in seinem Alter noch Interesse an anderen Frauen zeigen sollte, wäre ich der letzte, der ihm daraus einen Vorwurf machen würde.«
»Vielleicht weiß er nicht, daß du so darüber denkst. Hast du denn je über so etwas mit ihm gesprochen?«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt! Mit meinem dreiund-siebzigjährigen Vater?« Er warf einen kurzen Blick auf die Küchenuhr. »Es ist jetzt kurz vor drei. Wenn er bis halb vier nicht zu Hause ist, rufe ich die Polizei an.«
Sein Vater kam jedoch auch bis halb vier nicht zurück, und Miller verständigte die Polizei. Dort wußte man von keinerlei Autounfällen, in die ein Audi verwickelt gewesen wäre. Auch in keinem der lokalen Krankenhäuser war nach Mitternacht ein alter Mann eingeliefert worden, und von denen, die früher eingeliefert worden waren, war keiner Millers Vater. Der Audi wurde schließlich tief eingeschneit auf dem Parkplatz des Gemeindezentrums entdeckt. Die Wagenschlüssel waren zu Boden gefallen und unter den Wagen gerutscht.
Millers Vater tauchte nicht wieder auf.
5
Mexico City, April. Martin Rosenberg, zweiundsiebzig, trat aus der
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