Autor
spürte die Druckveränderung in seinen Ohren, als die Maschine niederzugehen begann. Sechs Minuten später landete sie auf dem internationalen Flughafen von Toronto.
Er ging durch den Zoll. »Ich bin auf einer Geschäftsreise und habe nichts zu verzollen.« Sein Aktenkoffer und seine Reisetasche wurden nicht kontrolliert. Durch eine automatisch sich öffnende Glasschiebetür trat Kessler in die überfüllte Empfangshalle hinaus und auf einen muskulösen Mann zu, der die gleiche blau-rot gestreifte Krawatte trug wie Kessler.
»Wieviel haben Sie für diese Krawatte gezahlt?« fragte Kessler den Mann.
»Wieviel haben Sie gezahlt?«
»Ich habe Sie geschenkt bekommen.«
»Und ich habe meine gefunden.« Nachdem ihr gegenseitiger Erkennungscode damit komplett war, fügte der muskulöse Mann hinzu: »Haben Sie sonst noch Gepäck?«
»Nur, was ich bei mir habe.«
»Gut, dann können wir ja los.« Der Mann sprach mit kanadischem Akzent.
Sie verließen das Flughafengebäude und gingen zu einem großen Kombi, mit dem sie auf dem Highway 401 in Richtung Westen fuhren.
Kessler sah sich nach der in der Ferne kleiner werdenden Skyline von Toronto um. »Wie lange werden wir ungefähr unterwegs sein?«
»Eine Stunde.«
»Sind die anderen schon da?«
»Sie sind der letzte«, erklärte der Mann.
»Gut.« Kessler spürte seinen Zorn aufwallen. Um sich etwas abzulenken, deutete er auf die Felder am Straßenrand. »Da fehlt etwas.«
»Was?«
»Die Reklametafeln.«
»Richtig. Sie sind für gesetzwidrig erklärt worden.« »Dazu kann man Kanada nur gratulieren.« Kessler setzte seine Sonnenbrille auf und starrte geradeaus vor sich hin. Der small talk war damit beendet.
8
Achtzig Kilometer weiter erreichten sie die Ausfahrt nach Kitchener. Der Fahrer umfuhr die Stadt auf schmalen Nebenstraßen, die ländliche Gegenden durchzogen, und bog schließlich in eine gekieste Auffahrt, die in scharfen Zickzackwendungen auf eine Villa zuführte, die auf einem Hügel über einem Fluß lag.
Kessler stieg aus dem Wagen und ließ seine Blicke über den herrschaftlichen Besitz wandern, der, umgeben von bewaldeten Hügeln, über einen Neun-Loch-Golfplatz, einen Tennisplatz, einen Swimmingpool und eine Satellitenantenne verfügte. Er wandte sich der fünf Wagen fassenden Garage zu und schließlich dem Haus selbst. Mit seinen Erkerfenstern, Türmchen und Giebeln erweckte es den Eindruck, als wäre es aus New England hierher nach Ontario verpflanzt worden.
»Mr. Halloway weiß wirklich zu leben«, bemerkte der Fahrer. »Natürlich verdankt er das alles...«
Ein Flügel der Doppeltür des Eingangs öffnete sich. Ein schlanker, mittelgroßer Mann in einem perfekt sitzenden Trainingsanzug und teuren Joggingschuhen trat ins Freie. Er war Anfang vierzig, hatte kräftiges, gewelltes Haar und strotzte vor Gesundheit. »Besten Dank, John. Wir werden ihre Dienste für den Rest des Tages nicht mehr benötigen. Wenn Sie wollen, können Sie ja mal die neuen Trainingsgeräte im Freizeitraum ausprobieren. Und danach können Sie sich's bei einem Drink im Dampfbad gemütlich machen.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Mr. Halloway.«
Damit stieg er in den Kombi und fuhr ihn in die Garage. Halloway kam die Eingangstreppe aus Granit herunter und streckte seine Hand aus. »Joe? Oder...?«
»Joseph.« Kessler schüttelte ihm die Hand.
»Lange nicht mehr gesehen. Wo wir doch soviel gemeinsam haben, ist es wirklich ein Jammer, daß es eines solchen
Mißgeschicks bedurfte, uns wieder zusammenzuführen.«
»Ein Mißgeschick würde ich es nicht gerade nennen.«
»Was dann?«
»Den absoluten Wahnsinn.«
»So ist die Welt nun mal. Das ist auch der Grund, weshalb ich so gern hier draußen lebe. Weitab von all dem Wahnsinn.« Mit einer Grimasse deutete Halloway auf die hinter den bewaldeten Hügeln verborgene Straße. »Kommen Sie. Die anderen sind nicht minder ungeduldig als wir. Sie warten.«
9
In der Eingangshalle des stattlichen Hauses herrschte gedämpftes Zwielicht; der Steinboden verstärkte das Geräusch ihrer Schritte. Mühsam seine Ruhe bewahrend, blieb Kessler vor einem farbenprächtigen Landschaftsgemälde stehen. Die Signatur des Künstlers lautete Halloway.
»Das hat mein Vater gemalt«, bemerkte der Hausherr dazu. »In seiner Acrylperiode.«
Der Hinweis auf Halloways Vater schürte Kesslers Ärger von neuem. Vom Ende des Gangs wurden aufgebrachte Stimmen vernehmbar, und dann folgte Kessler dem Hausherrn in einen großen, eichengetäfelten Raum,
Weitere Kostenlose Bücher