Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
der Icener, nicht wahr? Lass mich dir den Rest unserer kleinen Truppe vorstellen. Das hier ist Coventa«, sagte Brenna und legte den Arm um ein kleines, flachsblondes Mädchen. »Sie kommt aus dem Land der Briganten, genau wie ich. Und das hier ist Mandua vom Stamm der Atrebaten.« Sie zeigte auf ein älteres Mädchen mit missmutigem Gesicht. Und während Brenna weitere Namen nannte, bemerkte Boudicca die neugierigen, musternden Blicke der Mädchen.
Da sie alle in der gleichen Weise gekleidet waren, konnte sie nicht erkennen, wer die Tochter eines Stammesführers und wer die eines Bauern war. Aber das sollte wohl so sein. In bessergestellten Familien war es üblich, Kinder für ein bis zwei Jahreszeiten zu den Druiden zu geben, damit sie einen fundierten Einblick in die tiefere Philosophie bekamen, die den religiösen Vorstellungen des gemeinen Volkes zugrunde lag. Es könnte also gut sein, dass die Kinder der Bauern, die von den Priesterinnen wegen ihrer Gabe auserwählt wurden, auf die anderen herabsahen, die allein aufgrund ihrer Abstammung hier waren. Boudicca wollte ihnen daher keinerlei Grund geben, auf sie herabzusehen – das hatte sie sich bereits geschworen.
»Aber die Insel Mona gehört keinem Stamm«, sagte Brenna zum Schluss. »Deshalb wurde die Schule der Mysterien hier in Oakhalls gegründet.«
»Ach, wirklich?«, fragte Mandua. »Ich dachte, wir hätten uns hier am Ende der Welt niedergelassen, um vor dem langen Arm der Römer sicher zu sein.«
Boudicca setzte sich auf das Bett, dachte an die gewaltigen Bergmassen, über die sie gereist war, an den langen Weg, der sie am Ende hierhergeführt hatte, auch wenn er noch so beschwerlich gewesen war. Am Hof des Cunobelin in Camulodunon schien es, als läge nichts außer Reichweite der Römer. Aber hier, so weit fort von allem, was ihr bekannt und vertraut war, war sie sich da nicht mehr so sicher. Es gelang ihr sogar, ein heiteres Lächeln aufzubieten.
»Ich preise die Stunde unserer Begegnung. Und ich bin sicher, dass ihr mir alle viel zu erzählen haben werdet …«
»Lhiannon ist die, auf die du hören musst«, sagte die kleine Coventa mit einem Lachen. »Helve trägt zwar den Titel ›Herrin des Hauses der Priesterschülerinnen‹, aber Lhiannon macht die ganze Arbeit«, fuhr sie fort, unterbrach sich aber, als sie Brennas finsteren Blick bemerkte. »Nun, ist doch wahr, und wir trachten hier schließlich nach der Wahrheit, oder nicht?«
Boudicca hob eine Braue. »Wenn das stimmt, dann wären die Druiden ganz anders als alle anderen Stämme, die ich je kennengelernt habe«, sagte sie trocken.
»Und das glaubst du zu wissen, nur weil du in der königlichen Festung aufgewachsen bist?«, entgegnete Brenna. »Hier dienen wir den Göttern!«
»Aber ihr selbst seid noch keine«, bemerkte Boudicca mit einem Achselzucken. »Die Druiden, die König Cunobelin dienten, gierten genauso nach Macht wie alle anderen Stammesführer auch.«
Coventa runzelte die Stirn. »Vielleicht hat sie das weltliche Leben ja verdorben.«
»Nun, aber wir müssen uns nicht gleich an deinem ersten Abend hier deswegen streiten«, sagte Brenna versöhnlich. »Wie war es denn so in Camulodunon? Hat Cunobelins Festung wirklich goldene Dächer und marmorne Wände?«
Boudicca lachte. »Die Dächer leuchten nur deshalb golden, weil sie musterförmig mit Weizenstroh gedeckt sind, und die Außenwände sind weiß gekalkt und mit bunten Spiralen bemalt.«
»Klingt wie eine Heimstatt der Götter.« Brenna seufzte.
»Ja, das war es …«, rief Boudicca, und in ihren Augen flackerte eine plötzliche Sehnsucht nach jenem Ort, der ihr Zuhause gewesen war, seit sie sieben Jahre alt war. Doch nun war der große König tot, seine Hofstatt zerstreut, und ihr Vater hatte sie hierher ans Ende der Welt geschickt.
»Wir sind zwar keine Götter, aber wir werden dich nicht verhungern lassen«, drang eine Stimme vom Eingang her.
Boudicca sah auf und erblickte eine schlanke junge Frau in der blauen Robe einer Priesterin, deren helles Haar unter einem dunklen Schleier lang über den Rücken wallte. Und kaum war sie eingetreten, nahmen die Mädchen eine aufrechte Haltung an und verneigten sich.
Boudicca maß sie mit einem raschen Blick und fragte sich, wie viel des eben Gesagten sie wohl gehört hatte. Denn wenn diese Frau hier eine so machtvolle Stellung innehatte, dann musste sie ihr mit Bedacht begegnen. Sie hob erneut den Blick und bemerkte die Augen der Frau, die von einem so hellen Blau waren,
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