Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
vereinigt sich am Vortag einer Schlacht mit Dagdevos, dachte Boudicca und unterdrückte ein unerbetenes, erregtes Zittern. Hier jedenfalls hatte sie keinen Gefährten, mit dem sie ihre zerstörerische Macht durch die Liebe ausgleichen könnte. Da hörte sie den verzückten Schrei der Frau im Augenblick der Erfüllung. Die Königin hielt an, berührte ihre Brüste. Aber das war kein Ersatz – das hatte sie oft versucht in vielen langen, einsamen Nächten. Sie vermisste nicht nur den Körper ihres Gemahls, sondern auch seinen Geist, der den ihren umfing.
Liebende erzeugen Macht und schenken sie einander, sagte sie zu sich selbst. Ich kann nur meine Not den Göttern schenken. Sie zwang sich weiterzugehen.
In der Mitte des Lagers hatte man einen Weiheschrein errichtet, um den herum Fackeln und Pfähle standen. An ihnen hingen Schädel und Häute von Tieren, die den Göttern geopfert worden waren, während das Fleisch in tausend Kesseln kochte und auf tausend Feuern röstete. Der Geruch von Blut hing schwer in der Luft.
Der Schrein selbst war aus Pfählen und Holzklötzen errichtet und bedeckt mit kostbarem Tuch, das sie in Londinium erbeutet hatten. Darauf standen Silberteller, samische Tonbecher und -schalen, geschnitzte Holzstühle, Weinamphoren sowie Skulpturen und reich bestickte Kleidung. Obenauf lagen die Schädel zweier römischer Späher, die einem keltischen Vortrupp in die Hände gefallen waren, und dahinter baumelten drei Krähen an den Pfählen, die schwarzen Brüste mit Blut verklebt.
»Euch kenne ich doch«, sagte Boudicca leise. »Ihr seid die drei Unheilsboten, immer eine dankbare Opfergabe …«
»Manche sterben, damit andere leben …«, sagte die Göttin in ihr. »Und ihr Blut nährt den Boden.«
»Ich weiß«, antwortete die Königin. Es war kein Mann, den sie brauchte, sondern Antworten – und ob diese von der Göttin kamen oder aus ihrem Herzen, sie zu hören und zu verstehen war allein an ihr.
Sie wandte sich ab, ging zurück über das Feld an die schilfigen Ufer des Flusses.
Wasser glänzte, wo der Fluss das fahle Band der Straße kreuzte. Lhiannons Pferd riss am Zügel, und sie ließ locker, damit es trinken konnte.
»Meine Herrin, es ist schon spät«, sagte der Junge des Bauern. »Sollen wir nicht das Nachtlager aufschlagen? Hier gibt es Wasser, und dort unter den Bäumen finden wir Schutz.«
Lhiannon streckte die Beine, versuchte, den verspannten Schmerz aus ihren Muskeln zu schütteln, den sie seit dem frühen Morgen spürte. Sein Vorschlag klang verlockend, doch die Eile, die sie antrieb, war noch größer -falls das überhaupt noch ging – als am Tag zuvor.
»Wie weit ist es noch bis zu der römischen Festung?«, fragte sie.
»Noch ein gutes Stück bis Manduessedum, aber dort sollten wir besser nicht lagern …«
»Nein, Kitto, ich weiß, wo ich lagern will – beim Heer der Königin. Die Spuren ihres Feldzugs sind frisch, da können sie nicht mehr weit sein.« Selbst in der Dunkelheit waren die Spuren, die Männer und Tiere hinterlassen hatten, deutlich zu sehen.
In der Stille der Nacht, als das Pferd den Kopf hob, war ihr, als höre sie leises Stimmengemurmel – wie das ferne Meer.
»Wir werden weiterreiten bis Mitternacht, aber ich glaube, dass wir sie noch vorher finden werden.« Sie nahm ihr Pferd am kurzen Zügel, stieß ihm in die Seiten, und sie zogen weiter.
»Jawohl, Herrin«, sagte der Junge, der zweifelsohne annahm, dass die Gewissheit, die aus ihren Worten sprach, ihrer druidischen Kraft entsprang. Lhiannon sagte ihm nicht, dass es die Angst war, die sie trieb, die Angst, dass die Schlacht vorbei sein könnte, bevor sie eintrafen, und sie Boudicca niemals wiedersehen würde.
Doch die Götter schienen ihr wohlgesinnt. Denn kurz darauf sah sie, dass ein orangeroter Schein die Sterne am nahen Horizont verdunkelte, und erkannte auf dem Hügel links der Straße die geordneten Reihen der römischen Lagerfeuer.
»Das Heer der Großen Königin lagert unmittelbar vor uns in der Ebene«, sagte sie und deutete die Straße hinab. »Wir können es also wagen, die Pferde anzutreiben, denn bald werden sie rasten können.«
Doch plötzlich, wie ein Geist aus heiterem Himmel, tauchte ein Mann auf, sprang auf die Straße und versperrte ihnen mit seinem Schwert den Weg.
»Carvilios? Bist du das nicht?« Angestrengt spähte Lhiannon in die Dunkelheit. »Wo finde ich die Königin?«
»In der Mitte des Lagers, meine Herrin, rechts der Straße.« Er grinste. »Sie wird sich
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