Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
freuen, dass du kommst.«
Doch zunächst nahmen sie Crispus und der Rest der königlichen Haushälterschaft in Empfang.
»Sie ist vor einer Weile los, um durch das Lager zu schlendern«, sagte Temella. »Das macht sie öfter vor dem Schlafengehen. Eigentlich müsste sie schon zurück sein.«
»Vielleicht sollte ich sie suchen gehen«, sagte die Priesterin. »Meine Beine schmerzen vom langen Reiten, da tun ein paar Schritte gut.«
»Da wären wir dir dankbar.« Crispus war die Erleichterung anzusehen. »Sie sagte, sie sei viel zu aufgedreht, um schlafen zu können. Nun, das sind wir alle, aber wir haben ja morgen auch eine Schlacht zu kämpfen. Sie braucht dringend Ruhe, meine Herrin. Und wenn du ihr das sagst, dann hört sie auch.«
Hier im Niemandsland zwischen Freund und Feind war es still. Die Enten, die tagsüber auf dem Wasser paddelten, schliefen nun im Schilf; nur eine Eule schwebte lautlos vorbei. Das leise Geglucker des Bachlaufs wurde übertönt von einem lauteren, regelmäßigen Geplätscher, das Boudicca irgendwie bekannt vorkam. Sie sah Bogle an, doch der wedelte nur mit dem Schwanz. Sie folgte dem Pfad am Ufer entlang bis zur Furt und blieb stehen, als sie eine Gestalt erblickte, die am Rand des Wassers kniete. Jemand wusch Wäsche – das also war das Geplätscher, das sie vernommen hatte. Aber warum mitten in der Nacht? Wo die Schlacht doch … Der Gedanke riss jäh ab, als sich die Frau zu ihr umdrehte. Das Gesicht, das sie im fahlen Sternenlicht vor sich sah, war ihr eigenes.
»Was tust du hier?« Vernahm sie diese Frage von außen oder von innen?
»Ich wasche die Kleider der Getöteten … das Blut fließt wie Wasser … Raben zernagen das Genick der Männer, Blut spritzt im wilden Gefecht, Fleisch wird geschunden in wüster Raserei, und Klingen durchbohren Körper in rotem Kriegsrausch. Und in der Hitze des Gefechts metzeln die Helden ihre Feinde nieder. Krieg tobt, jeder zermalmt jeden … Kämpfe nicht morgen. Denn das wird dein Todesurteil sein.« Auf den weichen Wangen glitzerte eine silberne Tränenspur.
»Es bleibt mir nichts anderes übrig, als diesen Preis zu zahlen«, antwortete Boudicca. »Andernfalls würde ich mein Volk verraten …« Sie deutete in Richtung der verstreuten Lagerfeuer. »Du trägst mein Gesicht, aber ich kenne dich – Unfriedenstifter, Blutkrähe, Rabe der Schlacht. Du freust dich am Kampf. Wieso heuchelst du Tränen? Schließlich hast du dieses Volk hierhergeführt.«
Die Frau vor ihr schüttelte den Kopf. »Dieses Volk würde sagen, es ist Boudicca gefolgt.«
»Aber du bist diejenige mit der großen Macht!«
»Mein Herz ist dein Herz! Mein Zorn ist dein Zorn. Du bist die Göttin …«
Während die Frau sprach, merkte Boudicca, dass auch sie selbst diese Worte formte. Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. War dies ein Trugbild? Oder hatte sie sich die ganze Zeit selbst betrogen?
»Und sind meine Hände deine Hände?«, schrie sie.
Die Frau stand auf, und Boudicca sah ihr Spiegelbild in den Augen der Frau.
»Nur wenn du es zulässt.« Die Stimme klang weich. »Du formst die Götter, so wie wir dich formen. Doch die Formen, in denen wir dir erscheinen, wurden durch das Leben vieler Menschen geschliffen. Durch uns gelangst du von der Sterblichkeit in die Ewigkeit. Durch uns wird das Göttliche in dir offenbar.«
Boudicca spürte, dass sie zitterte, und wusste nicht, ob das, was sie fühlte, Furcht oder Freudentaumel war.
»Willst du meine Hände morgen gebrauchen?« Boudicca verspürte eine vertraute Furcht, hinter der sie sich verbarg. »Wirst du uns zum Sieg führen?«
»Die Schlacht wird enden, wie sie muss – zum Wohl eines größeren Ganzen«, antwortete die Frau. »Alles zu geben im Verlauf eines Lebens ist ein Pfad zum Sieg. Der Kampf ist ein anderer. Die zerstörerische Kraft des Krieges stellt eine harte Probe dar. Sieger wie Besiegte können gleichermaßen scheitern, sich der Gier oder der Angst ergeben. Und Sieger wie Besiegte gleichermaßen können die Sterblichkeit überwinden. Aber nur die, die im tapferen Kampfe fallen, zapfen am letzten Quell des Heldenmuts. Nur die, die alles geben, tragen den ruhmreichen Sieg davon, der in Liedern weiterlebt und kommende Generationen nährt. Und das ist ein Preis, den der Sieger nicht fordern kann.«
»Wird ein solcher Sieg viele Leben fordern?«, fragte Boudicca sodann.
»Der Tod ist nur der Torweg – wie du ihn beschreitest, wird das zur Folge haben, was du auf der anderen Seite siehst
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