Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Augen, die fiebrig glänzten, als Lhiannon auf dem dreibeinigen Orakelstuhl Platz nahm, den Caw für das Ritual zusammengezimmert hatte.
Ihr habt mich genötigt, mich auf diesen Stuhl zu setzen – sagte sie still in sich hinein. Welch schreckliche Antworten werdet ihr mir entlocken? Lange sahen sie einander an, und Boudicca hob die Hand, so wie ein Krieger sie zum Gruß hebt, wenn einer seiner Gefährten in die Schlacht zieht, dem Feind entgegen.
Der heilige Trunk brannte in Lhiannons Bauch, und um die Stirn hatte sie einen Ährenkranz gebunden. Sie spürte den Einstich an ihrem Finger, den sie sich zugefügt hatte, um ihr Blut in das Wasser der heiligen Schale zu tröpfeln. Die Antworten kamen immer am leichtesten, wenn die Not die Fragen stellte, und die Götter wussten, dass all ihre Weisheit gefordert war.
Sie hatten sich zu diesem Ritual am Fuße des Tor versammelt, zwischen der Blut- und der Milchquelle. Sogar hier konnte sie noch den Energiestrom spüren, der sich spiralförmig um den Hügel herum bis an die Spitze wand, und sie wusste, dass er sie weit und schnell tragen würde. Als sie den Schleier fallen ließ, spürte Lhiannon, wie sich ihr Bewusstsein verschob, und unterdrückte ein angstvolles Zittern.
Weich, wie weich sie ist, die Abendluft,
Die sinkende Sonne macht die Welt heiterer,
Friedvolle Stille überall …
Die Abenddämmerung hatte die Welt in kühle Schatten unter den verstreuten Sternen getaucht. Die friedvolle Stille nahm ihr die Angst, während Brangenos die altvertrauten Worte sang.
Nun, da der Tag vergeht,
Ist unser letzter Weg ein glänzender Strahl,
Zwischen den Welten finden wir ihn …
Lhiannon spürte, wie sie fiel, obgleich ihr Körper auf dem Stuhl verharrte. Wie aus weiter Ferne hörte sie Brangenos rufen:
»Kinder des Don, warum seid ihr gekommen?«
»Wir ersuchen den Segen der Göttin«, antworteten die anderen.
»Dann rufet sie!«
Die vielen Namen, bei denen die vielen Stämme ihre Göttinnen nannten, erschallten durch die stille Nacht, unzählige Teile formten sich zu einem größeren Ganzen. Lhiannon spürte, wie ihr innerstes Selbst erzitterte, als stünde sie in einem heftigen Wind. Und dann erhob sich Boudiccas Stimme über alle anderen:
»Cathubodva, ich rufe dich! Herrin der Raben, du hast uns an diese Pforte geführt. Gib uns nun deinen Rat!«
Lhiannon versuchte, den Kopf zu schütteln, wehrte sich. Von allen Gesichtern, die die Göttin annehmen konnte, hätte sie sich genau dieses jetzt nicht gewünscht! Doch die schwarzen Schwingen schlugen bereits an die Türen zu ihrem Bewusstsein und trugen es fort.
Aus weiter Ferne nahm sie wahr, dass sie sich aufrichtete, die Schultern vor und zurück bog, die Arme reckte mit einem leisen Lachen, als die Morrigan in sie fuhr.
»Dieses Pferd ist nicht so stark, wie das andere war, aber es tut seinen Zweck. Was willst du von mir wissen?«
Eine unbehagliche Stille entstand, als bereuten die Zuschauer, die die Göttin herbeigerufen hatten, jetzt ihre Tat. Der Erste, der seine Stimme wiederfand, war Caw.
»Herrin, wann wird der römische Vergeltungszug vorüber sein? Wann wird Argantilla auf sicherem Weg nach Hause können?«
Wieder entstand Stille. Lhiannon zitterte, spürte, wie Morrigans Heiterkeit verebbte und Schmerz folgte.
»Ich sehe keine Welt, die mir gefällt«, bemerkte die Göttin herb. »Ein Frühling ohne Saat, ein Herbst ohne Ernte, Frauen in ihren Häusern gemetzelt und Männer auf ihren Feldern, Ramshill brennt, und die Mauern von Dunford sind niedergerissen. Mars Ultor geht durch das Land, rächt all jene, die in den römischen Städten verbrannten.«
Brangenos räusperte sich. »Gibt es keine Hoffnung für uns, Große Königin? Wie sollen wir überleben?«
»Selbst die Götter können die unabwendbare Not nicht bekämpfen«, antwortete die Göttin. »Das Blut nährt die Erde, das Fleisch die Raben, und ihr nährt das Volk, oh, ihr Söhne der Raben, mit euren Geschichten …« Der Druide wich zurück beim harschen Lachen der Morrigan.
»Heute seid ihr Britannier gefallen, aber eines Tages werden die Römer an der Reihe sein, und wenn die Legionen fort sind, dann werden eure Lieder und euer Blut noch immer hier sein. Wieder und wieder werdet ihr fallen, aber etwas überdauert immer. In den Krieg zu ziehen war kein Fehler – so habt ihr eure Eroberer gezwungen, euch zu achten. Nun müsst ihr euch dem Wind beugen und all euren Verstand zusammennehmen, um zu retten, was geht.«
Genau
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