Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Schlaf gewöhnt und schreckte beim kleinsten Gebrabbel auf, denn es bedeutete, dass Boudiccas Fieber wieder stieg. Meist half Brangenos ihr beim Verbinden der Wunden, und tagsüber wachten Coventa oder Argantilla an ihrer Seite. Doch nachts kämpfte Lhiannon um Boudiccas Leben so erbittert, wie die Königin gegen Rom gekämpft hatte.
Im Licht der Öllampe schlug Boudicca wild um sich, als halte sie ein Schwert. In dem kleinen Haus, das sie teilten, brauchte es keine zwei Schritte, bis Lhiannon an der Seite ihrer Patientin war. Sie tränkte ein Tuch in kaltes Wasser und legte es auf die glühend heiße Stirn der Königin. Bogle, der sich jedes Mal mit ihr erhob, legte den Kopf auf das Kissen.
»Schsch, ganz ruhig, meine Liebe. Die Schlacht ist vorbei. Du bist hier in Sicherheit bei mir …« Lhiannon schätzte, dass es gegen Mitternacht sein musste – da konnte sie ihrer Patientin getrost weiteren Weidenrindentee verabreichen. »Wach auf – öffne deine Augen, und ich gebe dir etwas, das deine Pein lindert.« Sie hielt den Becher an Boudiccas Lippen, und die Königin schluckte. Ihre Augenlider flatterten, und sie trank mehr.
»Verdammt seien alle Römer«, flüsterte sie, als Lhiannon sie wieder in das Kissen bettete. »Einen ganzen Tag lang habe ich gegen sie gekämpft. Das muss ich nicht noch einmal erleben.« Sie legte die Hand auf den Kopf des Hundes.
»Schon gut, meine Liebe. Die Erinnerungen werden irgendwann verblassen. Die Toten brauchen Zeit, um aus unserem Leben zu treten«, sagte Lhiannon. »Zuerst sehen wir sie noch überall. Doch so, wie die Zeit verstreicht und die Welt sich ändert, weichen sie, und wir machen weiter.«
»Nicht immer«, antwortete Boudicca. »Und nicht alle Träume sind Albträume. Prasutagos ist ständig bei mir …« Sie stockte. »Tut mir leid. Ich weiß, du hörst es nicht gern, wenn ich von ihm spreche.«
»Er war ein guter Mensch«, antwortete Lhiannon rasch. »Aber er ist tot, und du musst jetzt daran denken, gesund zu werden.«
»Vielleicht.« Boudicca seufzte. »Als wir damals hier waren, hast du den Weg ins Feenland gefunden, und ich konnte dir nicht folgen. Aber ich denke, dass du mir eines Tages folgen wirst an den Ort, an den ich jetzt gehe.«
Boudicca war immer eine starke Frau gewesen mit kräftigen Muskeln und einer hochgewachsenen Statur. Mit der Zeit und den beiden Schwangerschaften hatte sie gar etwas Matronenhaftes bekommen, doch diese Sanftheit hatte sie während des Feldzugs verloren. Und jetzt, im nackten Licht der Öllampe, traten ihre wohlgeformten Knochen in ihrem Gesicht deutlich hervor. Lhiannons Magen krampfte sich zusammen, als sie erkannte, wie sehr das Fieber ihr Fleisch auszehrte.
»Du kannst immer noch ins Feenland gehen«, sagte Lhiannon in dem verzweifelten Versuch, ihre eben gemachte Erkenntnis abzuwehren. »Die Feenkönigin könnte dich heilen oder dich bei sich behalten, bis du …«
»Bis … gar nichts«, fuhr Boudicca ihr dazwischen. »Dann ist das Leben ewig und unveränderlich, nie wieder begegnet man denen, die man einst liebte, nie wird man weiser, nie kehrt man zurück in diese Welt, um neu zu leben.«
Lhiannon zuckte zusammen, da Boudicca den gleichen inneren Zwist mit sich hatte wie sie einst, als sie der Feenkönigin begegnet war.
»Würdest du dir das für dich wünschen, Lhiannon? Warum wünschst du es dir dann für mich?«
»Du meinst, nie wieder Prasutagos zu sehen«, sagte Lhiannon bitter. »Aber als er starb, hättest du ihn doch am liebsten auch überall mit hingenommen, wenn er dadurch nur ein kleines bisschen länger hätte leben können, oder nicht?«
»Prasutagos war mein …« Boudicca verstummte, und ihre Augen wurden ganz groß, als sie Lhiannons Blick begegnete.
Verstehst du jetzt?, dachte die Priesterin. Verstehst du jetzt, dass ich dich liebe?
»Er war dein Mann«, sagte sie. »Nie hätte ich versucht, euch zu trennen, als er noch lebte. Aber ich werde nicht zulassen, dass er dich jetzt in den Tod zieht, solange ich einen Weg sehe, dich zu retten. Verflucht, Boudicca«, fügte sie plötzlich hinzu. »Willst du denn sterben?«
»Nicht in diesem Augenblick, nein«, sagte sie ehrlich. »Ich wollte auch nicht in die Schlacht zielten, aber als es so weit war, habe ich es getan. Ich gebe zu, wenn Tausende Krieger um dich herum nach Blut lechzen, dann tut man sich leichter. Durch diese Tür jetzt allein zu gehen ist sehr viel schwerer. Prasutagos tat es, und ich musste ihm dabei helfen. Aber du wirst mir
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