Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
mehr lange bleiben.«
»Gibt es Pferde?«, fragte Boudicca.
»Wir können welche bekommen. Wir können vielleicht eine Pferdetrage bauen, denke ich …«, sagte Lhiannon etwas unsicher.
»Bindet mich in den Sattel. Wenn ich stürze, dann bindet mich quer darüber. Wenn ich sterbe, dann begrabt mich so wie Rigana«, sagte sie unumwunden. »Wenn euch droht, dass sie euch kriegen, dann schlitzt mir die Kehle auf und rennt. Man wird mich nicht in Ketten durch die Straßen Roms schleifen.«
Lhiannons Lippen zitterten, und sie befühlte noch einmal Boudiccas Stirn. »Ich werde nicht zulassen, dass du stirbst. Wir machen dir eine Suppe. Du musst trinken, so viel du kannst, um dein Blut aufzubauen. Und wir bleiben so lange wie möglich hier.«
Die römische Straße war inzwischen gesperrt. Kitto führte sie über gewundene Wege und Kuhpfade zum Gehöft seines Onkels, der wiederum schickte sie zu einem Stiefbruder und so fort. Von einem Freund zum anderen geleitet, schlugen sie sich quer durch das Land der Cornovi und Dobunni in Richtung Avalon.
Eine Menge Gerüchte gingen um. So sollte der Feldherr der Legion in Isca sich in sein Schwert gestürzt haben, als er vom ruhmreichen Sieg hörte, den seine Truppen nun nicht teilten, da er sie aus Furcht nicht in die Schlacht geschickt hatte. Wenn das stimmte, dachte Lhiannon, dann hatten die eigenen Mannen den Tod dieses Römers zu verantworten. Der Rest der Truppe war nämlich noch munter und lebendig; sie metzelten jeden nieder, den sie als Anhänger oder Bewunderer der Mörder-Königin verdächtigten.
Noch hatten die Römer ihren suchenden Blick nicht nach Westen gewandt. Die meisten von Boudiccas Heer waren aus Süden und Osten gekommen, sie waren jetzt Zielscheibe des römischen Zorns. Die Icener, die es zurück in ihre Heimat geschafft hatten, wünschten sich vielleicht bald schon, auf dem Schlachtfeld gestorben zu sein.
Die Flüchtenden ritten langsam über versteckte Pfade dahin und begegneten keinerlei Kontrollposten. Boudicca schien sich gut zu erholen und zu Kräften zu kommen. Die meisten ihrer Wunden schlossen sich langsam. Doch obwohl sie nie klagte, fiel sie allabendlich sofort in einen erschöpften Schlaf, und ihre Gesichtsfarbe wechselte zwischen tiefrot und kreidebleich.
Wenn wir in Avalon sind, kann sie ausruhen, dachte Lhiannon. Ich werde sie wieder ganz gesund machen.
Der Mond hatte seine abnehmende Phase durchlaufen und schwoll wieder an, als sie die südlichen Hänge der Lead Hills hinabritten und über das weite Sumpfland bis auf die Spitze des Tor blicken konnten.
Und so kehre ich schließlich zurück nach Avalon, dachte Boudicca.
Sie hatten sie zum Apfelhain gebracht, um sich in der verträumten, friedlichen Stille des Nachmittags zu sonnen. Sie wünschte, sie könnte glauben, dass all das, was sie erlebt hatte, seit sie und Lhiannon diesen Ort verlassen hatten, ein Albtraum gewesen sei. Aber das würde auch bedeuten, Prasutagos nie begegnet zu sein. Sie erzählte Lhiannon, die sich so sehr mühte, sie wieder gesund zu machen, nichts davon, dass er in ihren Träumen bei ihr war.
Das Sonnenlicht ließ das Gras unter den Apfelbäumen glänzen, die unterhalb der Blutquelle wuchsen. In Avalon schien die Welt stets heiter. In ihrem Heimatland wohl weniger. War es Feigheit, vor den Gräueltaten der Römer zu fliehen, die die Icener jetzt zu spüren bekamen? Bei diesem Gedanken stand sie auf, und erneut wogte eine Welle des Schmerzes durch ihren Körper.
Die Wunden an ihren Armen und Beinen heilten, aber tief in ihrem Innern fühlte sie sich zerrissen. Vielleicht lag die Entscheidung, weiterzuleben, nicht in ihrer Hand. Und warum war sie so verwundert, als die Dunkelheit wich und sie einmal mehr die Blätter sah? Manches Schicksal ließ sich nicht bekämpfen – ihren Sohn, Prasutagos zu verlieren, die verlorene Schlacht Britanniens …
Göttin, warum hast du mich verraten? Zornige Tränen brannten in ihren Augen. Du hast mir den Sieg versprochen … Doch seit Manduessedum blieb der Ort in Boudiccas Seele, an dem die Morrigan gewohnt hatte, leer. Vielleicht war die Herrin der Raben nichts weiter als ein Trugbild, geboren aus ihrem eigenen Zorn – und am Ende war sie es selbst, die alle anderen verraten hatte …
»Bituitos, pass auf!« Boudiccas Schrei riss Lhiannon aus dem Schlaf, und ihr Herz raste. »So viele verdammte Mistkerle – ich komme nicht an ihren Schilden vorbei!«
Seit Manduessedum hatte sich die Priesterin an einen leichten
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