Avalons böse Schwestern
des Tores, wo sie den Hügel wieder hinabsteigen konnten, lag nicht die geheimnisvolle Nebelinsel, sondern das normale Land. Avalon hielt sich versteckt. Es öffnete sich nur demjenigen, der würdig genug war.
»Es ist da!« flüsterte Yodana. »Ich weiß es. Wir müssen nur den richtigen Schlüssel finden.«
Rogetta nickte zustimmend. Sie selbst spürte den Wind, der durch das Tor wehte und ihre starren Haare bewegte. War es der normale Wind, oder war es bereits ein Gruß aus Avalon.
»Ich werde einen Versuch starten«, erklärte die Blonde.
»Dann soll ich hier warten?«
»Ja.«
»Du fühlst dich kräftig genug?«
»Ich werde mir Lancelot holen, das verspreche ich dir. Ich weiß, daß er unsterblich ist. Er mag sich verändert haben, aber die Tafelrunde König Artus’ wurde noch nicht aufgehoben.« Sie sagte es mit einer Bestimmtheit, die ihren festen Glauben untermauerte.
»Dann geh, Schwester!«
Yodana ließ sich nicht ein zweites Mal bitten. Sie setzte sich in Bewegung, aber sie lief nicht schnell, denn sie wußte genau, was sie dieser feierlich anmutenden Situation schuldig war.
Rogetta blieb stehen.
Es war nicht still, obwohl es ihr so vorkam. Sie ignorierte die jammernden Windgeräusche und schaute starr auf den Rücken ihrer Freundin, deren langer Rock beinahe über das auch im Eingang wachsende Gras hinwegschleifte. Yodana konnte normal gehen. Es war nichts da, was sie aufhielt. Beide wußten nicht, wie Avalon reagieren würde, und Yodana hatte bereits die Hälfte der Torlänge hinter sich gelassen, doch noch immer war nichts geschehen. Avalon gab sich mit keiner Geste zu erkennen, sie hieß diese Person auch nicht willkommen.
Die Blonde ging weiter.
Drei, vier und fünf Schritte, bis sie schließlich stoppte und sich herumdrehte.
Rogetta sah sie an, Yodana richtete ihren Blick auf die Verbündete. Die Entfernung zwischen ihnen war zu groß, um den Ausdruck der Augen erkennen zu können, doch beide waren sie enttäuscht, und das spiegelte sich auch auf ihren Gesichtern wider.
Es war ein normales Tor, ein normaler Durchgang. Avalon hielt sich zurück.
Yodana stand auf dem Fleck und zitterte. Wutstöße rannen durch ihren Körper. In den Augen brannte es, als hätte sich das Tränenwasser stark erhitzt. Sie fühlte sich wie in einen Tunnel eingesperrt und gleichzeitig unter einer Folter stehend, wobei man ihr die Haut in Streifen vom Leibe zog.
Rogetta winkte. Die wilde, muskulöse Frau mit den roten Haaren war ebenfalls ratlos. »Komm zurück«, bat sie.
»Und dann?«
»Werde ich es versuchen.«
Yodana lachte. »Denkst du denn, daß du besser bist als ich?«
»Nein, wir sind ja gleich…«
Die Antwort hatte zwar nicht überzeugend geklungen, aber Yodana hob die Schultern und fügte sich in das Schicksal.
So wie es gelaufen war, paßte es ihr nicht. Sie hatten alles auf eine Karte gesetzt, waren so sicher gewesen, daß sich Avalon ihnen öffnen würde, und nun standen sie mit leeren Händen da.
Sie kehrte zurück.
Diesmal ging sie mit etwas müden Schritten voran, hielt den Kopf gesenkt und hob ihn erst wieder an, als sie beinahe gegen Rogetta gelaufen wäre. »Ich werde gehen.«
Yodana legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Schon jetzt sage ich dir, daß du kaum eine Möglichkeit finden wirst, Avalon zu betreten. Es hält sich vor uns zurück. Es ist tot, verstehst du? Es gibt Avalon für uns noch nicht.«
»Wie kannst du es öffnen?«
»Das weiß ich nicht. Man hat uns gesagt, es wäre ganz einfach. Nur das Tor braucht durchschritten zu werden, um unsere Geliebten aus vergangener Zeit zu erreichen…«
»Ich weiß es, Yodana.« Rogetta drehte sich zur Seite, so daß sich die Hand der anderen von ihrer Schulter löste. Dann nahm sie denselben Weg wie Yodana.
Die schaute ihr nach.
Schritt für Schritt tauchte die mit der Lanze bewaffnete Person in die Tiefe des Tores ein. Dabei bewegte sie ihren Kopf, schaute einmal nach rechts, wieder nach links, als könnte ihr das dicke Mauerwerk die Lösung des Rätsels verraten.
Nichts, gar nichts…
Es blieb alles gleich, nur eben, daß die Personen gewechselt hatten.
Wie auch Yodana, so drehte sich Rogetta ebenfalls am Ende des Durchgangs um. Es geschah mit einer wütenden Bewegung. Sie sah aus wie jemand, der seine Lanze am liebsten in den Körper irgendeines Feindes gerammt hätte, doch da gab es nichts zu rammen, zwischen den Wänden blieb es leer, Avalon hielt seine Botschafter zurück und blieb selbst vor ihnen
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