Avalons Geisterschiff
dich«, sagte Carlotta leise und wandte sich ab.
Die Ruhe, die sie Maxine gegenüber gezeigt hatte, war nur gespielt. Tatsächlich brannte sie innerlich, denn sie wollte nicht in dieser Blockhütte bleiben. Carlotta wusste, dass sich außerhalb der Hütte etwas abspielte. John und dieser Earl Cameron waren unterwegs, um das Schiff zu suchen, und wenn John Recht behielt, dann würde es sicherlich schon aufgetaucht sein.
Einmal hatte Carlotta es bereits gesehen. Das war allerdings zufällig geschehen. Diesmal wollte sie sich bewusst auf die Suche machen, denn sie war davon überzeugt, dass auch ein John Sinclair Unterstützung brauchen konnte.
Die nächsten Minuten wurden für sie zu einer Qual. Immer wieder schaute sich Carlotta die schlafende Maxine an. Sie hoffte, dass sie in einem Tiefschlaf lag. Einige Male fuhr sie mit der Hand dicht an ihren Augen entlang. Eine Reaktion erfolgte nicht. Die Atemzüge der Tierärztin gingen regelmäßig.
Alles sah gut für sie aus. Trotzdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie die Hütte jetzt verließ und sich auf den Weg durch die Luft machte. Dann gab es kein Zurück mehr. Dann würde sie Maxine nicht helfen können, wenn noch einmal ein Zombie auftauchte oder etwas anderes Unvorhersehbares geschah.
Noch zögerte das Vogelmädchen. Es focht einen innerlichen Kampf aus. Was war am besten?
Eine Antwort konnte sie nur geben, wenn sie die Blockhütte verließ und sich auf den Weg machte. So warf sie einen allerletzten Blick auf die Schlafende und schlich zur Tür. Sie wollte keinen Laut verursachen. Alles musste so leise wie möglich geschehen. Sie öffnete die Tür und schloss sie wieder.
Alles lief glatt. Sie trat hinaus in die dunkle Welt und stellte sofort fest, dass es kühler geworden war. Vom Wasser her brachte der Wind Feuchtigkeit mit, die sich wie ein kalter Schatten auf ihr Gesicht legte.
Niemand hielt sich in der Nähe des Hauses versteckt und beobachtete es. Schweigen in der Dunkelheit. Die Wipfel der nahe wachsenden Bäume warfen ihre Schatten auf den Boden, wo sie mit der Dunkelheit verschmolzen.
Carlotta schaute zum Wasser hin. Das Muster der zittrigen Wellen fiel ihr auf. Hin und wieder sah sie die bleichen Flecken, die wie Geister über die Oberfläche tanzten. Doch davor und vor dem Wasser brauchte sie sich nicht zu fürchten.
Sie lief zwei Schritte auf das Ufer zu, bewegte erst dann ihre Flügel und stieß sich ab.
Wie ein großer Vogel stieg sie in den dunklen Nachthimmel hinein. Schon bald verließ sie ihre senkrechte Haltung, beugte sich nach vorn und flog in der Waagerechten weiter. Wer sie jetzt gesehen hätte, der wäre unweigerlich an einen Engel erinnert worden, dem es im Himmel nicht mehr gefallen und der deshalb die Erde besucht hatte.
Carlotta flog nicht sehr hoch. Sie schwebte etwa einen halben Meter über die Wipfel der Bäume hinweg. Es war kein schneller Flug und erst recht keiner, an dem sie sich berauschte. Es war auch kein Vergnügen für sie, sondern so etwas wie Arbeit, denn sie fühlte sich als eine fliegende Helferin.
Sie erreichte den See.
Ein leichter Schauer überlief sie schon, als sie daran dachte, was da für ein Gewässer unter ihr lag. Was war nicht alles über Loch Ness geschrieben und berichtet worden. Unzählige Geschichten in den Zeitungen, aber auch das Fernsehen machte mit. Kamerateams waren an den See geschickt worden, lagen Tage und Nächte auf der Lauer, um Nessie zu filmen, aber nichts war passiert.
So hielt sich die Mär weiter, und das war auch gut so. Ein Geheimnis, das gelüftet wurde, verlor seinen Reiz, und es war immer besser, die Menschen in der Schwebe zu lassen.
Trotzdem wäre es toll gewesen, wenn Nessie plötzlich unter ihr aus den Fluten aufgetaucht wäre, doch dieses Glück war ihr nicht vergönnt.
Carlotta wusste ja, wo sie das geheimnisvolle Schiff zum ersten Mal gesehen hatte. Und genau dort zog es sie wieder hin. Sie blieb dabei über dem Wasser und war davon überzeugt, dass sie niemanden stören würde. Auch das Risiko, entdeckt zu werden, war recht gering, und deshalb genoss sie ihren Flug sogar.
Andere waren um diese Zeit nicht unterwegs. Es bestand also keine große Gefahr für sie, von einer fremden Person entdeckt zu werden.
Scharf saugte sie die kühle Luft ein, als sie sah, was sich vor und unter ihr auf dem Wasser abmalte. Es war der Umriss des alten Seglers, der auf den Fluten stand und sich praktisch nicht bewegte. Nicht mal ein geringes Schaukeln war zu sehen.
In
Weitere Kostenlose Bücher