AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
Gobbi? Was möchten denn die an Kaminfeger brauchn, da gibt’s doch kaane Kamine, die stellen doch nur Kohlebecken auf und den Küchenrauchfang macht der Beschließer ...«
Ninian biss sich auf die Lippen - natürlich kannten die Einheimischen die Eigenarten der Villen. Jermyn aber drehte sich um und sagte sanft:
»Ist das so? Na, dann fahr uns halt zur Villa d’Este.«
Gleich darauf schoss das kleine Boot über den See, dass es nur so spritzte, der Junge ruderte aus Leibeskräften, seine Augen tränten. Nicht noch einmal wollte er diesem stechenden Blick begegnen.
Die Villa d’Este, ein eleganter zweistöckiger Bau aus rosenfarbenem Sandstein, lag wie ein Schmuckstück zwischen zwei scharfzackigen Felsvorsprüngen. Rechter Hand ragten die Felsen in den See hinein, während zur Linken ein kleiner, weißer Sandstrand an die fenster- und türenlosen Seitenmauern der Villa angrenzte, von steilabfallenden Wänden umgeben. Im Sommer, wenn die d’Este ihre berühmten Feste feierten, dümpelten mit farbigen Wimpeln und Lampen geschmückte Boote in der kleinen Bucht, jetzt lag der Strand leer und verlassen wie das Haus selbst.
Der Junge ruderte sie dicht an den Unterbau aus mächtigen, algengrünen Steinquadern heran. Über einem gemauerten Torbogen erhob sich die Terrasse. Auf einer Seite ruhte sie auf einem gewaltigen Pfeiler, dessen scharf vorspringende Kante in den See hineinragte. In dem Hohlraum darunter gurgelte es; als sie sich über den Bootsrand beugten, konnten sie gerade noch den oberen Teil eines schweren Holztores erkennen, aber der Wasserspiegel war so hoch, dass sie sich flach ins Boot hätten legen müssen, um sich nicht den Schädel an der Decke zu stoßen.
»Wie kommt man hinein?«, fragte Jermyn stirnrunzelnd und Ninian schüttelte bestürzt den Kopf.
Nach den Plänen war sie davon ausgegangen, dass man ein Boot unter der Terrasse verbergen konnte. Niemandem würde auffallen, dass sich jemand in der Villa zu schaffen machte. Bei diesem hohen Wasserstand mussten sie es jedoch außen, für alle Augen sichtbar, an einem der Ringe in der Grundmauer befestigen.
»Der Pförtner möcht halt eine Strickleiter runterlassn«, gab der Junge bereitwillig Auskunft. »Den Winter hat’s viel Schnee in die Berg g’habt und es hat fleißig geregnet - so voll ist der See sonst nicht um diese Zeit, aber es dauert ja noch a Weil, bis die Herrschaftn kommn.«
»Sieht das überall so aus?«
»G’wiss.«
Jermyn verzog das Gesicht.
»Da wird man wohl schwimmen müssen«, murmelte Ninian schadenfroh.
Sie kehrten nach Neri zurück. Jermyn bedachte den Jungen großzügiger als seinen Vater und nahm dann beiden die Erinnerung an die Kaminfeger.
Sie liefen am See entlang auf die Wälder zu, bis sie das Dorf weit hinter sich gelassen hatten. Bäume und Unterholz kamen nahe ans Ufer heran und sie fanden schließlich eine Einbuchtung, in der das Wasser seichter und wärmer war. Die Sonne stand hoch am Himmel und Ninian streifte ohne Umstände ihre Kleider ab.
»Hier versuchen wir es«, erklärte sie bestimmt. »Komm, zier dich nicht, zieh dich aus, du wirst sehen, es ist ganz einfach, das Schwimmen.«
Sie schob ihre Sachen unter eine Baumwurzel und stelzte über die weißen Kiesel.
»Das sagst du so«, knurrte Jermyn, aber auch er entkleidete sich und folgte ihr zögernd an den Rand des Wassers, das träge über das steinige Ufer leckte.
»Wir müssen tiefer rein«, rief Ninian, »los, los, du bist doch sonst nicht wasserscheu. Im Badehaus gehst du doch auch ins Wasser.«
»Ja, aber da ist es warm«, murmelte er und machte ein paar Schritte in den See. Nach den sonnenwarmen Kieseln des Ufers verschlug ihm die Kälte den Atem. Er blieb stehen.
»Und das hier ist verdammt kalt!«, schrie er anklagend.
Sie lachte nur herzlos und als er sich nicht rührte, lief sie spritzend zurück, ergriff seine Hand und zog ihn mit sich.
Es zeigte sich, dass es nicht ganz so leicht war, wie sie gesagt hatte. Nachdem er das fünfte Mal untergegangen und hustend wieder an die Oberfläche gekommen war, keuchte er wütend: »Warum hast du nicht gleich gesagt, dass du mich umbringen willst? Mir reicht’s.«
Er watete zum Ufer, Ninian folgte ihm.
»Bleib hier«, sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Du hast mich auch getriezt und gequält, bis ich nicht mehr wusste, wo oben und unten ist. Und ich habe nicht aufgegeben.«
»Aber beim Klettern hat man wenigstens Boden unter den Füßen«, rief er über die Schulter
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