AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
erhabenen Ruhe gerüttelt und hatte Mühe das Tier zu bändigen. Bedroht durch die tänzelnden Hufe, geriet das Gassenvolk in Wut. Ein Hagel von Flüchen ergoss sich über die vornehme Gesellschaft, ein schlecht gezielter Apfel flog durch die Luft und erst als einer der Junker drohend die Peitsche hob, zogen sich die aufgebrachten Leute zurück.
Jermyn grinste zufrieden.
»Dumme Schnösel«, sagte er, »jetzt geht's mir besser.«
Sie wanderten über die großen, flachen Steine der Alten Straße, vorbei an alten Weibern und Kindern, die ihre Ziegen zwischen den Ruinen weiden ließen. Schließlich brach Jermyn das Schweigen.
»Artos Sasskatchevan ... warum hat er sich heimlich mit dem Ehrenwerten getroffen? Er ist auch Kaufmann und hat Schiffe auf dem Meer, die durch die Seeräuber bedroht sind. Und er ist nicht besonders scharf auf die Hochzeit mit Sabeena Castlerea.«
Ninian war stehen geblieben.
»Du meinst, er könnte der Empfänger des Briefes sein?«
»Warum nicht? Der Brautschatz bleibt verschwunden, die Heirat kommt nicht zustande, der alte Sasskatch ist sauer auf den Patriarchen, der seine Schiffe nicht ausreichend schützen kann. Sein Sohn schlägt ihm flugs ein neues Bündnis mit einem mächtigeren Beschützer vor und wird zur Belohnung zum Statthalter von Dea ernannt. Noch mehr Reichtum und Macht ganz ohne lästige Heirat – klingt doch gut, oder?«
»Aber der Rat«, meinte Ninian zweifelnd, »das sind auch mächtige Männer, würden sie einen solchen Verräter nicht bekämpfen?«
»Pah, wer fragt danach?«, erwiderte Jermyn verächtlich. »Die Familie unseres verehrten Patriarchen ist auch nicht mit Zustimmung des Rates an die Macht gekommen, darauf könnt ich wetten.«
Plötzlich warf er den Kopf in den Nacken und lachte so laut, dass eine gebückte Alte, die ihre Ziege hinter sich herzog, erschrocken zusammenfuhr.
»Wir werden dem guten Artos helfen, auf dem Pfade der Tugend und Rechtschaffenheit zu bleiben, und«, seine Augen glänzten boshaft, »dafür wird er gerne die Belohnung mit uns teilen. Ist das nicht einfach vollkommen?«
Er breitete beifallheischend die Arme aus, aber Ninian fragte argwöhnisch: »Willst du ihn erpressen?«
»He«, erwiderte er entrüstet, »was gebrauchst du für hässliche Worte? Ich bin doch nicht der Ehrenwerte Schmutzsammler. Nein, du wirst es schon sehen, aber ich brauche deine Hilfe.«
Im Palast rief er nach Wag, aber niemand antwortete und sie kletterten zur Galerie hinauf.
Jermyn verbarg den Lederbeutel im Kamin des Übungsraums.
»Uff, dieser Schatz wiegt in jeder Hinsicht schwer«, er rieb sich die Schulter und grinste, »wir müssen Artos dazu bringen, hierher zu kommen. Mich wird er nicht mögen«, vielsagend deutete er auf die roten Stacheln, die seinen Kopf zierten, »aber dich kennt er und er vertraut dir. Er wird dir folgen, besonders wenn du diese, hm, diese edlen Klamotten trägst und ihm erzählst, du wüsstest etwas über den Brautschatz.«
»Ich soll den Lockvogel spielen?«
»Wenn du so willst. Machst du das?«
»Was hast du mit ihm vor?«
Ihr Zögern weckte aufs Neue seine Eifersucht. Aber hier ging es ums Geschäft und es gelang ihm, sich zu beherrschen. War der Kerl erst einmal hier, würde er weiter sehen ...
»Es wird ihm nichts geschehen, im Gegenteil. Ich werde ihm den Brautschatz aushändigen und ihn zum Helden des Tages machen. Meinst du nicht, dass ihm das gefallen wird?«
Ninian stimmte schließlich zu und ging in das Kuppelgemach, das sie schon als ihr eigenes ansah. Zögernd nahm sie die samtenen Kleidungsstücke auf, die verstreut auf der großen Bettstatt lagen. Sie war verschwitzt und schmutzig von den Anstrengungen der letzten Nacht und dem Gang durch die staubigen Straßen. Wenn sie nicht ungewaschen in das elegante Gewand steigen wollte, musste sie Jermyn fragen, wo sie sich waschen und vor allem, wo sie ihre Notdurft verrichten konnte.
Sie fand ihn mit geschlossenen Augen auf der Pritsche liegend, blass und erschöpft, der Triumph war aus seinem Gesicht verschwunden. Plötzliche Zärtlichkeit erfüllte sie. Es widerstrebte ihr, ihn zu stören, aber als sie sich zurückziehen wollte, öffnete er die Augen.
Sein Blick war verhangen und ein sehnsüchtiges Lächeln, das ihr Herz rührte, glitt über seine Züge. Dann erwachte er ganz und richtete sich hastig auf. Befangen trat sie einen Schritt zurück.
»Ich ... ich wollte dich nicht stören. Gibt es hier ... ich meine, wo kann ich ... kann ich mich irgendwo
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