AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
und der Mann war, aus dem harten Blick entlassen, in sich zusammengesunken.
Die Kämpfe hatten noch nicht begonnen, als sie ihre Plätze einnahmen, und Ninian hatte Zeit, sich in der Arena der größten und ältesten Gladiatorenschule Deas umzusehen. Sie war in gutem Zustand, einige der reichsten Männer der Stadt gehörten zu ihren Gönnern und viele Jahre hatte ihnen der Bulle ihre Einsätze vergoldet.
An diesem Abend war die Vorstellung nicht gut besucht. Auf den niedrigen Ränge lärmten Arbeiter, Handwerker und anderes einfaches Volk, aber die teuren Sitze waren nur spärlich belegt. Neben dem Tor, durch das die Gladiatoren die Arena betraten, sprachen zwei Junker in schwarzsilbernen Wämsen mit einem grauhaarigen Mann. Er trug einen gewaltigen Schmerbauch auf krummen Beinen vor sich her und einen kurzen silbernen Stab in der Hand.
»Schau, das ist Tifon, der Gladiatorenmeister«, meinte Jermyn, »ein Schweinehund und Leuteschinder, aber er hat 'nen guten Riecher. Hat den Bullen entdeckt und groß gemacht und sich dumm und dämlich an ihm verdient. Genau wie der Scheißkerl Fortunagra, die schwarzsilbernen Angeber gehören zu ihm. Sie sollen dem Bullen Beine machen, er hat seinem Patron in der letzten Zeit keine rechte Freude bereitet.«
Ein missglückter Fanfarenstoß kündigte den Auftritt des Bullen als Höhepunkt des Abends an, der Vorhang wurde beiseite gezogen und Ninian beugte sich neugierig vor. Sie hatte den berühmten Ringer noch nie gesehen und erwartete einen Koloss wie den Türsteher von LaPrixa, einen Fleischkloß, stark und abstoßend. Der Bulle aber war ein schöner Mann. Nicht mehr als mittelgroß, hatte sein Körper das Ebenmaß der Statuen aus der Alten Zeit, die sie in der letzten Zeit bewundert hatte.
»Warum nennt man ihn den ,Bullen'?«, flüsterte sie. »Er bewegt sich eher wie ... wie eine Bergkatze.«
Ohne den Blick von der Arena zu wenden, erwiderte er: »Schau dir seine Haare und sein Gesicht an.«
Ninian kniff die Augen zusammen. Kurze, schwarze Locken lagen flach und dicht um den wohlgeformten Kopf des Ringers. Einige waren in die Stirn gekämmt. Die großen Augen standen weit auseinander. Die breitrückige Nase war einmal gebrochen, wie so oft bei den Gladiatoren, sein Kinn eckig, mit einem tiefen Spalt in der Mitte.
Sie nickte langsam, der Name war nicht schlecht gewählt, mehr noch aber erinnerte sie der stumpfe Gesichtsausdruck des Mannes an ein Rind.
Als er lustlos in die Mitte des Kampfplatzes schlurfte, schüttelten Fortunagras Männer missbilligend den Kopf. Die schwarzsilberne Schärpe, die zeigte, für wen ein Gladiator kämpfte, war nicht breit und glatt, sondern nachlässig um Brust und Schultern gewunden, so dass die Enden durch die Sägespäne schleiften. Er trottete einmal um die Arena, ohne zu grüßen oder die Zuschauer auch nur anzuschauen, dennoch begrüßte man ihn auf den billigen Rängen klatschend und johlend. Die einfachen Leute liebten den Bullen immer noch.
Seine Herausforderer waren mit geschwellter Brust an den Reihen vorbeimarschiert, hatten die geölten Muskeln präsentiert und sich in Pose gestellt. Gespielt finster hatten sie ins Publikum gestarrt und den mageren Beifall hochmütig entgegengenommen.
Es waren junge und unbedeutende Ringer, ihre Schärpen saßen vorschriftsmäßig, einige trugen noch den breiten Lederstreifen um den Hals, der sie als Schüler und Eigentum der Gladiatorenschule auswies.
»Das ist nichts Wichtiges«, erklärte Jermyn, »eine Art Prüfung für die Schüler und nicht mehr als eine Übung für den Bullen. Aber seine letzten Kämpfe waren erbärmlich, eines Meisters unwürdig. Mal sehen, was es heute gibt.«
Gespannt beugte er sich vor. Der Bulle hatte seine Runde beendet und wollte sich vor seinen Gegnern aufstellen, als der Gladiatorenmeister ihn zu sich rief.
Er musste noch zweimal rufen, bevor der Ringer mit sichtbarem Widerwillen an den Rand der Arena trat. Der feiste Mann sagte ein paar Worte und deutete auf die Schärpe, worauf der Bulle sie achselzuckend abnahm und sie in einem unordentlichen Wulst um den Leib wickelte.
Jetzt winkte einer der Schwarzsilbernen den Bullen zu sich und flüsterte ihm etwas zu. Der Gladiator fuhr auf, er machte eine Bewegung, als wolle er nach dem Sprecher greifen. Der Mann wich nicht zurück und plötzlich ließ der Bulle die Schultern hängen, nestelte die Schärpe auf und band sie so, dass sie deutlich das silberne Rutenbündel der Familie Fortunagra zeigte. Der
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