AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)

waren sie ihr Buße genug. »Ja, denk mal, ich verzeihe dir. Was nicht heißt, dass ich es dir nicht heimzahlen werde!«
    »Na, da bin ich aber gespannt.«
    Sie grinsten sich an wie zwei Narren vor Freude, dass ihre Welt wieder im Lot war und wenn Jermyn Bedauern darüber empfand, dass der prickelnde Moment vorbei gegangen war, ließ er es sich nicht anmerken. Er sprang von der Säule und reckte sich, dass seine Gelenke knackten.
    »Diese Windstille gestern – mir war gar nicht aufgefallen, dass sich kein Wind regt.«
    Ninian zuckte die Schultern.
    »Das wundert mich nicht. Du merkst doch nur, dass die Jahreszeiten wechseln, weil die Leute andere Kleider tragen.«
    In den Handelshallen hatte er neulich festgestellt, dass es Sommer sein müsse, da die reichen Kaufmänner ihre pelzgefütterten Westen abgelegt hatten. Er steckte den Hieb wortlos ein, aber sie war noch nicht fertig.
    »Übrigens wollte ich dich beruhigen, ich klettere nicht schlechter als du, ich bin nur kleiner, verstehst du? Ich werde niemals diese Stelle ohne Seil überwinden, aber das heißt nicht, dass ich dir nicht überall hin folgen kann. Du hast selbst gesagt, es hinge oft von der Größe ab, ob man ein Seil braucht und nur ein – wie waren noch deine Worte? Ah, ich weiß – , nur ein größenwahnsinniger Narr würde es ohne Seil versuchen' . Du schaffst die Stelle auch nur mit knapper Not. Gib es zu!«
    Er zog eine Grimasse, aber er schluckte auch das. »Kann schon sein und was folgt daraus?«
    »Dass du mich bei deinem nächsten Einstieg mitnimmst, selbst wenn's der Palast des Patriarchen ist. Versprich es!«
    »Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, was?«
    Als sie die Stirn runzelte, lachte er.
    »Hey, war nur Spaß. Natürlich bist du gut, du warst es immer schon. Außerdem wird die Erde dir keinen Schaden zufügen, sie liebt dich auch«, seine Stimme schwankte ein wenig und er fuhr hastig fort: »Also versprochen, beim nächsten Mal gehen wir gemeinsam und nichts wird mehr vor uns sicher sein. Aber das hat noch Zeit. Für Geld müssen wir es ja nicht tun. Komm jetzt, ich kann diesen elenden Turm nicht mehr sehen.«
    Als sie zurückschlenderten, fragte sie: »Was machen wir heute, wenn wir schon nicht in fremde Häuser einbrechen?«
    »Der Bulle kämpft heute Abend«, schlug er vor, »und ich würde ihn mir gerne ansehen.«
    »Ach«, meinte sie enttäuscht, »weil du so besonders nett zu mir warst, soll ich mir heute auch noch Ringkämpfe ansehen?«
    Er blieb stehen.
    »Ninian, ich ... nein, wir machen, was du willst. Steinchen sammeln oder rohen Fisch essen oder ...«
    Niedergeschlagen zuckte er die Schultern und plötzlich fühlte sie sich kleinlich und nachtragend.
    »Nein, nein, ich mein es nicht so«, sagte sie schnell, »lass uns ruhig diesen Bullen ansehen. Wirklich«, beharrte sie, als er nicht überzeugt schien, »ich liebe Ringkämpfe geradezu. Vielleicht gibt's ein paar interessante Schwertkämpfe als Zugabe. Lass uns gleich hingehen.«
    »Willst du vorher nichts essen?«, fragte Jermyn erstaunt. Die Ringkämpfe dauerten lange und er wollte nicht riskieren, dass zu ihrem Groll auch noch Hunger kam.
    »Nein, mein Herr, man hat mich ausreichend bewirtet«, beschied sie ihm würdevoll und überließ es ihm sich auszumalen, wer der großzügige Gastgeber gewesen war.

2. Kapitel
    Selbst jetzt, da sich die Sonne dem Horizont zuneigte, war ihre Kraft noch beträchtlich und sie legten einen großen Teil des Weges zu den Gladiatorenschulen im langen Schatten des Alten Zirkus zurück.
    Rund um den Zirkus hatten sich die Straßen so erhalten, wie die Alten sie erbaut hatten, mit ebenmäßigen, fugenlos verlegten Steinplatten, von denen nur wenige gesprungen waren. Unzählige Füße und Wagenräder hatten in den Jahrhunderten Furchen hineingegraben, in denen sich Regenwasser zu kleinen Bächen sammelte. Jetzt in der Trockenzeit wirbelten ihre Schritte kleine Staubwolken auf.
    Jermyn blickte zu dem gewaltigen Halbrund der Ruine auf.
    »Schau, das wäre nur ein Spaziergang – das machen wir beide mit verbundenen Augen. Höchstens brüchig könnte es sein.«
    Auch wenn die Fassade keine Herausforderung darstellte, war sie doch eindrucksvoll mit ihren Säulen und Halbsäulen, Simsen, Bögen und Nischen, in denen hier und da noch Reste von Figuren standen. Aber Ninian warf nur einen flüchtigen Blick hinauf, sie schien abwesend.
    »Würde es dir nicht gefallen, wenn sie den Zirkus wieder aufbauen würden?«, lockte er. »Stell dir