AvaNinian – Zweites Buch
bei Gelegenheit auslösen. Und, Berengar, man sieht Euch neuerdings so häufig im Gefolge des Ehrenwerten Fortunagra, dass es Euch sicher keine Umstände macht, ihm eine Botschaft zu überbringen. Meldet Euch nachher bei mir. Im übrigen ist Euer Urlaub aufgehoben. Gehabt Euch wohl, ihr Herren!«
Er neigte mit kühler Höflichkeit den Kopf und setzte seinen Weg fort, ohne der pochenden Ader auf D’Aquinas Stirn oder der halb verlegenen, halb entrüsteten Miene des jungen Berengar Beachtung zu schenken. Aber er spürte die Woge der Feindseligkeit, die ihm folgte, und zog das dichte Netz, das ihn gegen die Empfindungen anderer schützte, noch ein wenig enger zusammen.
So war es immer. Sie grüßten ihn ehrerbietig, aber ihre heimliche Verachtung wehte ihn an wie fauliger Atem und dann haderte er mit dem Geschick, das die Gabe des mütterlichen Volkes so unvollkommen in ihm ausgebildet hatte. Warum erlaubte sich das Schicksal solch grausame Scherze? Warum verlieh es einem dreckigen, kleinen Dieb Kräfte, mit denen er, Duquesne, soviel Gutes tun könnte? Was nützte es, sich so gut verschließen zu können, dass niemand diese Sperre zu durchdringen vermochte, wenn man nicht auch die Gedanken der anderen erkennen und lenken konnte? Er hatte versucht, es zu erlernen, bis zur äußersten Erschöpfung, aber schließlich hatten die Meister der Wüste ergeben die Hände gehoben und ihn mit dem Rat fortgeschickt, sich nicht gegen den unerforschlichen Willen der Götter aufzulehnen.
Geblieben war ihm nur die zweifelhafte Fähigkeit, die Empfindungen der anderen Menschen wahrzunehmen. Er hatte darunter gelitten, seit er denken konnte. Die verzweifelte, besitzergreifende Liebe der Mutter, die mehr dem Mittel gegolten hatte, mit dem sie den geliebten Mann an sich fesseln wollte, als dem Knaben selbst. Nach ihrem Tod das flüchtige, schuldbewusste Wohlwollen des Patriarchen, das ihn auf die Schulbank neben die anderen Adelssprösslinge gebracht hatte, vor allem aber die Verachtung und den Spott seiner Mitschüler. Seit er die Stadtwache übernommen hatte, waren Furcht und Hass dazugekommen, aber die hatte er willkommen geheißen und nach Kräften geschürt.
Nur sehr selten spürte er andere Gefühle, bei Dubaqi etwa, in dem ein ähnlicher Zorn brannte und dem er sich verbunden fühlte. Und auch bei dem Mädchen Ninian.
Wenn er an die verletzenden Worte dachte, die er in der Palastruine zu ihr gesprochen hatte und die ihn mehr bloßgestellt hatten als sie, so krümmte er sich innerlich. Aber bei den ersten Begegnungen, im Stadtgraben und im Stadthaus, war ihm ihre Gesellschaft angenehmer gewesen als die jeder anderen Frau. Und zuletzt, als sie sich so unverhofft im Stall gegenübergestanden hatten, war sie verwirrt und verlegen gewesen, aber er hatte weder Hass noch Abscheu gespürt, dafür ein leises, kaum merkliches Bedauern.
Seine Spitzel trugen ihm alles zu, was in den dunklen Vierteln vor sich ging, und drei Tage nach der großen Hochzeit hatte er gewusst, dass sie endgültig Ehre und Unschuld verloren hatte und die Geliebte des kleinen Gauners geworden war. Dennoch - sie war sehr jung. Wenn der andere verschwand, wenn sie seinem Einfluss entzogen wurde ...
Duquesne verbot sich weiterzudenken. Müßige Grübelei nützte nichts. Man musste nicht Gedanken lenken können, um an sein Ziel zu gelangen. Der Patriarch war das beste Beispiel dafür. Außer der Stimme der Autorität besaß er keine übermenschlichen Eigenschaften. Die Stimme hatte er seit Jahren nicht mehr gebraucht, er war alt und krank und doch regierte er Dea immer noch mit fester Hand. Klugheit und List waren seine Waffen und ein eiserner, rücksichtsloser Wille. Duquesne hatte darunter gelitten, aber er hatte sich diesen Willen zum Vorbild genommen.
Wenn er den Hinweis, der ihm vor zwei Tagen von dem Seelenlosen zugetragen worden war, geschickt nutzte, wäre er seinem großen Ziel morgen ein ganzes Stück näher gerückt und vielleicht gab es bald keinen dreisten, kleinen Gedankenlenker mehr ...
Duquesne hatte die Gemächer des Patriarchen erreicht und im Vorzimmer trippelte ihm Malatest entgegen. Der Erste Kammerherr, ein vertrockneter, parfümierter Greis, stolperte beinahe über die übertrieben langen Spitzen seiner Schnabelschuhe. Er diente dem Patriarchen seit vielen Jahren und in ihrer Jugend hatten die beiden hübschen verwegenen jungen Männer manches Abenteuer gemeinsam bestanden und unzählige Herzen gebrochen. Während jedoch der Patriarch,
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