AvaNinian – Zweites Buch
wai, du bis das, Patron! Is schon gut, hab’s nich gleich erkannt, Patron, ich geh schon, bin schon weg, komm, du Töle, komm ...«
Das Gesicht des Trödlers hat eine grünliche Farbe angenommen, er riss am Zaum, um den Hund beiseite zu zerren. Die Bewegung war zu heftig für das erschöpfte Tier, seine Beine knickten ein, die hochbeladene Fuhre kam ins Wanken, schwankte bedrohlich und kippte gemächlich zur Seite, so dass sich alles, was er gesammelt hatte, auf die Straße ergoss. Hilflos strampelte der Hund mit den Pfoten und der Trödler begann sich die Haare zu raufen. Die Bewohner der Gasse liefen zeternd von allen Seiten zusammen und Schimpfworte und gute Ratschläge prasselten auf den unglückseligen Händler ein. Fluchend versuchte er, den Hund abzuschirren, um den Karren wieder aufzurichten, und bei dem Lärm öffneten sich überall die Fensterläden. Als die Leute den Abfallhaufen sahen, der sich mitten in ihrer Gasse auftürmte, begannen auch sie zu schimpfen. Einige aber liefen nach ihrem eigenen Dreck und bald regnete es Unrat aller Art aus den Häusern, so dass die Zuschauer schleunigst das Weite suchten.
Jermyn hatte dem Ungemach des Mannes ungerührt zugesehen, nun wandte er sich zum Gehen. Ninian folgte ihm mit gemischten Gefühlen.
»War das nötig?«, fragte sie schließlich halb lachend, halb ärgerlich, »so einen Aufruhr zu verursachen?«
Jermyn sah sie erstaunt an.
»Was glaubst du denn? Sollen wir uns von jedem Lumpensammler beschimpfen lassen?!«
»Er hat dich erkannt.«
»Das will ich meinen. Sie sollen uns kennen und mit dem angemessenen Respekt begegnen!«
23. Tag des Regenmondes 1465 p.DC
in den frühen Morgenstunden
»Jermyn, komm schnell, sie ist fertig!«
Ninians Stimme weckte ihn, er fuhr von der Pritsche hoch, schüttelte die Benommenheit ab und rutschte hastig den Pfeiler hinunter.
Das Feuer in der Vorhalle brannte hell und im Schein der großen Kerzen, die rings um den Tisch standen, glänzte die glasierte Oberfläche der Karte in ihrem Holzrahmen. Kamante, die auf der Bank gelegen hatte, rieb sich schlaftrunken die Augen und Wag streckte den verstrubbelten Kopf aus der Küchentür.
»Na, wurde ja auch Zeit, dann können wir endlich schlafen gehn, komm, Kamante!«
»Will nich schlaf’n, will schau’n!«
Kamante hob eigensinnig das Kinn und rutschte näher an Ninian heran. Wag verdrehte die Augen und schlurfte seufzend näher und schließlich beugten sie sich zu viert über die Karte. Jermyn berührte die glänzende Oberfläche mit den Fingern.
»Sie ist vollkommen«, murmelte er und Ninian strahlte.
»Nicht wahr? Man kann jede Einzelheit erkennen. Ein großer Meister muss sie gemacht haben - all diese feinen Linien und hier diese Zeichen neben den Wappen. Die Karte war übrigens nie fest in einer Wand eingelassen, ich habe keine Spuren von Mörtel gefunden. Wenn man sie benutzen wollte, musste man sie zusammensetzen. Ganz schön mühsam, aber schau, es gibt ein paar Hilfszeichen, hier«, sie nahm einen Kantenstein und drehte ihn um. Ein schwarzer Punkt markierte seine Lage am oberen Rand.
»Die Ecksteine haben zwei Punkte, sehr unauffällig. So hat man schon mal den Rahmen, trotzdem hätte ich es ohne Vitalongas Zeichnung nicht geschafft und ohne ihre Hilfe auch nicht!«
Sie legte Kamante den Arm um die Schultern und das Mädchen grinste stolz: »Jaa, ich viel helf’n, viel finden!«
Ninian lachte, ihre Augen waren gerötet, aber sie war sehr zufrieden mit sich. Seit sie von Vitalonga zurückgekehrt waren, hatte sie über der Karte gesessen und sich kaum Zeit zum Essen genommen.
Sie hatten beschlossen, das Bild in der Halle auszulegen, damit Babitt es sehen konnte, und den Tisch aus der Küche geschleppt. Zwei Fußbodenplatten waren herausgestemmt, ein Feuer brannte dort und Wag war bei Androhung strenger Strafen verpflichtet worden, es in Gang zu halten. Im Schein aller Leuchter hatte Ninian die Steinplättchen und Vitalongas Zeichnung ausgebreitet und mit der Arbeit begonnen.
Am Anfang war Jermyn noch in der Halle herumgelungert, hatte ihr über die Schulter gesehen und mehr gut gemeinte als hilfreiche Vorschläge gemacht, bis sie ihn hinausgeworfen und nur noch Kamante neben sich geduldet hatte. Das Mädchen besaß einen guten Blick und hatte unermüdlich nach Würfeln mit haarfeinen Strichen oder winzigen Farbabweichungen gesucht. Vor allem aber hatte sie die Bilha immer wieder neu gefüllt, denn der bittere Rauch hielt Ninian wach.
Als Jermyn spät am
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