Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Avraham Avraham hatte sich sogar, in Gegenwart der Mutter, die Mühe gemacht und in den Krankenhäusern der Umgebung nachgefragt, ob bei ihnen ein Junge eingeliefert worden sei, der auf den Namen Ofer Sharabi hörte oder auf den seine Beschreibung passte. Und vor Verlassen des Reviers hatte er darum gebeten, dass jede irgendwie relevante Meldung an ihn weitergeleitet würde und man ihn, wenn es sein musste, auch mitten in der Nacht anriefe. Er hatte die Mutter instruiert, was sie selbst noch weiter unternehmen konnte, und hatte dem wachhabenden Beamten eine Beschreibung des schwarzen Rucksacks mit den weißen Streifen, eine Adidas-Replik, dagelassen – vielleicht würde er in irgendeiner Meldung über verdächtige Gegenstände in ihrem Distrikt auftauchen. Jede weitere Ermittlungsaktion wäre in dieser Phase bloße Etatverschwendung, was man ihm hinterher auch noch vorwerfen würde. Doch wenn dem Jungen heute Nacht etwas passierte, etwas, das zu verhindern gewesen wäre, bekäme er richtige Probleme.
Er bedauerte bereits, was er der Mutter über Kriminalromane und die Verbrechensstatistik in Israel gesagt hatte. Annabelle Amram war bei einem gescheiterten Raubüberfall von einem Autodieb, der sie nicht gekannt hatte, ermordet worden. Avraham Avraham befahl sich, nun nicht mehr im Nachhinein jedes seiner Worte auf die Goldwaage zu legen.
Früher hatte es hier nur Sand gegeben. Jetzt helle, gläserne Gebäude. In den Dünen zwischen Neve Remes und Kiryat Sharet, zwei grauen Wohnvierteln, in denen er beinahe sein ganzes Leben verbracht hatte, waren Wohntürme, eine städtische Bibliothek, ein Designmuseum und ein Einkaufszentrum entstanden, die in der Dunkelheit aussahen wie Raumstationen auf dem Mond. Auf halbem Weg nach Kiryat Sharet leuchteten zur Linken die Schriftzüge von Zara, dem Office Depot und von Joe’s Café, und er erwog, die Straße zu überqueren und in das Einkaufszentrum zu gehen. Er könnte sich einen Latte macchiato und ein Käsesandwich kaufen und sich draußen an einen der freien Tische setzen, um den beruhigenden Lichterstrom der Scheinwerfer zu verfolgen und nachzudenken. Wie beinahe jeden Abend tat er es nicht.
Er wollte an andere Ermittlungen denken. Da war die Sache mit den drei Einbrüchen innerhalb einer Woche in zwei Nebenstraßen in Kiryat Ben-Gurion, bei der ihm noch jeglicher Ansatzpunkt fehlte. Alle Einbrüche waren tagsüber verübt worden, als die Bewohner nicht zu Hause gewesen waren, allesamt saubere Einbrüche, ohne aufgebrochene Schlösser oder durchgesägte Fenstergitter. Die Einbrecher hatten genau gewusst, wann die Leute ihre Wohnungen verließen und wann sie zurückkehrten, und sie verstanden sich darauf, verschlossene Türen zu öffnen, ohne Lärm zu verursachen. Das waren keine spontanen Einbrüche von irgendwelchen Junkies. Entwendet worden waren Schmuck, Scheckhefte und Bargeld. In einer der Wohnungen war ein Tresor aufgebrochen worden.
Das Ganze war einigermaßen frustrierend. Seine einzige Ermittlungsstrategie konnte nur daraus bestehen, auf weitere Einbrüche zu warten und zu hoffen, dass die Täter etwas für die Spurensicherung hinterließen, was sie bei ihren bisherigen Auftritten nicht getan hatten, oder dass ein Teil der Beute beim Zugriff auf irgendein Lagerhaus wiederauftauchen würde. Dann hätte man jemanden, den man in die Mangel nehmen konnte. Hinzu kam noch dieses Gefühl, das er sich bei den Teambesprechungen nicht hatte eingestehen wollen: Nur einer der drei Einbrüche war echt oder, anders ausgedrückt, nur einer war für die Einbrecher von Bedeutung gewesen. Und was sie dort gesucht und vielleicht auch gefunden hatten, hatte nichts mit Geld oder Wertsachen zu tun. Die beiden anderen Einbrüche sollten die Polizei lediglich an der Nase herumzuführen.
Bei einer anderen Ermittlung hatte er, wider Erwarten, zunächst Erfolg zu verzeichnen gehabt, aber in den letzten beiden Tagen hatten sich die Dinge verkompliziert und waren ins Stocken geraten. Ein zwanzigjähriger Bursche namens Igor Kintjew war unter dem Verdacht festgenommen worden, für eine Serie von Belästigungen und Angriffen auf Frauen verantwortlich zu sein, die sich – mit Unterbrechungen – über zwei Monate hinweg auf der Strandpromenade in Bat Yam ereignet hatte. Er war nach einer simplen Observierung durch Streifenbeamte in Zivil verhaftet worden. Aufgefallen war er, als er ziellos auf der Promenade herumlief und immer wieder Frauen folgte, die in der Regel mit über vierzig
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