Axis
beschworen die verbliebenen Gäste, sich nach innen zu begeben, bis man wisse, was da eigentlich vorgehe. Da die Kellner Turk aber gut kannten, ließen sie ihn unbehelligt. So blieb er noch eine Weile mit Lise draußen, um das Licht der Leuchtfeuer zu beobachten, oder was immer es war, was da auf dem fernen Wasser tanzte.
Nicht bis ganz nach unten hell… Turk erkannte, was sie meinte: Die glitzernden Vorhänge liefen, bevor sie die Wasseroberfläche erreichten, in Dunkelheit aus. Ausgebrannt vielleicht. Das war immerhin ein hoffnungsvolles Zeichen. Lise kramte ihr Telefon heraus, rief einen lokalen Nachrichtendienst auf und gab dessen Informationen an Turk weiter. Man spreche von einem »Sturm«, sagte sie, jedenfalls sehe es auf dem Radar wie ein Sturm aus, dessen Ausläufer sich Hunderte von Kilometern nach Norden und Süden erstreckten und dessen Zentrum sich auf Port Magellan ausrichtete.
Jetzt fiel der leuchtende Regen über der Landspitze und dem inneren Hafen, erhellte die Decks und Aufbauten der vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffe und Frachter. Dann verschwammen die Umrisse der Ladekräne, die Lichter der Hoteltürme in der Innenstadt trübten sich ein, die Souks und Märkte verschwanden, während der Regen die Hänge hinaufzog – eine Wand aus trübem Licht. Doch nichts ging in Flammen auf. Das ist schon mal gut, dachte Turk. Und dann: Es könnte allerdings giftig sein. Es könnte wer weiß was sein. »Wird langsam Zeit, reinzugehen«, sagte er.
Mit Tyrell, dem Chefkellner im Harley’s, hatte Turk für kurze Zeit bei den Pipelines in der Rub al-Khali gearbeitet. Nicht dass sie furchtbar eng miteinander gewesen wären, aber sie pflegten einen freundschaftlichen Umgang, und Tyrell schien erleichtert, als Turk und Lise endlich die Terrasse verließen. Er schob die Glastür zu und sagte: »Hast du irgendeine Ahnung…?«
Turk schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid.«
»Ich weiß nicht, ob ich abhauen oder einfach die Show genießen soll. Ich habe meine Frau angerufen. Wir wohnen in den Fiats.« Eine günstige Wohngegend einige Kilometer weiter unten an der Küste. »Dort passiert es auch, sagt sie. Es fällt irgendwelches Zeugs aufs Haus, sieht aus wie Asche.«
»Aber es brennt nichts?«
»Anscheinend nicht.«
»Könnte Vulkanasche sein«, sagte Lise. Turk bewunderte sie dafür, wie sie die Situation bewältigte. Sie war deutlich angespannt, aber nicht so ängstlich, dass sie sich keine Gedanken über das Phänomen mehr hätte machen können. »Irgendein tektonisches Ereignis weit draußen auf dem Meer…«
Tyrell nickte. »Ein Meeresvulkan oder so was.«
»Aber wenn es halbwegs in der Nähe war, hätten wir etwas spüren müssen, bevor die Asche kam – ein Erdbeben, ein Tsunami.«
»Soweit ich weiß, ist nichts dergleichen gemeldet worden«, sagte Turk.
»Asche«, sinnierte Tyrell. »Grau und pulvrig.«
Turk fragte ihn, ob es noch Kaffee in der Küche gebe. Ja, das sei keine schlechte Idee, erwiderte der Chefkellner und ging nachsehen. Es waren immer noch einige Gäste im Restaurant, auch wenn niemand mehr aß oder feierte. Sie saßen in der Nähe der Bar und unterhielten sich nervös mit dem Bedienungspersonal.
Der Kaffee kam, gut und stark, und Turk goss sich Milch in seine Tasse, als sei nichts, als würde ihnen gerade nicht der Himmel auf den Kopf fallen. Lises Telefon klingelte mehrfach, und sie musste einige gut gemeinte Anrufe abwimmeln, bevor sie schließlich die Mailbox aktivierte. Turk hatte sein Telefon in der Hemdtasche, er bekam aber keine Anrufe.
Nun fiel die Asche auf die Terrasse. Turk und Lise rückten näher ans Fenster. Grau und pulvrig. Tyrells Beschreibung traf genau zu. Turk hatte noch nie Vulkanasche gesehen, stellte sich aber vor, dass sie genau so aussehen müsste. Das Zeug legte sich auf die Holzdielen der Terrasse und schwebte gegen das Fenster. Es wirkte wie Schnee von der Farbe eines alten Wollanzugs, nur dass es hier und da glänzende Tupfen gab, Teile, die noch leuchteten, aber beim Hinsehen verblassten.
Mit weit aufgerissenen Augen drängte sich Lise gegen seine Schulter. Er dachte an ihr Wochenende in der Mohindar Range zurück, als sie wetterbedingt an dem namenlosen See gestrandet waren. Damals war sie genauso selbstbeherrscht gewesen wie jetzt, genauso im Gleichgewicht, auf alle Herausforderungen gefasst, die die Umstände mit sich bringen mochten. »Wenigstens brennt es nirgends«, sagte er.
»Nein. Aber man kann es riechen.«
Jetzt, wo sie es
Weitere Kostenlose Bücher