Azathoth - Vermischte Schriften
unterirdischen Strom hinab, bis ich in eine andere Welt aus purpurroter Dämmerung, irisierenden Bäumen und niemals welkenden Rosen gelangte.
Und einmal schlenderte ich durch ein goldenes Tal, das zu verschatteten Hainen und Ruinen führte und in einer mächtigen Mauer endete, die von uralten Schlingpflanzen überwuchert und einem kleinen Bronzetor durchbrochen war.
Viele Male schritt ich durch jenes Tal, und immer länger hielt ich in dem gespenstischen Halbdämmer inne, in dem sich die gigantischen Bäume grotesk wanden und schlängelten, der graue Boden feucht sich von Stamm zu Stamm erstreckte und manchmal die schimmelbefleckten Steine vergrabener Tempel freigab. Das Ziel meiner Phantasievorstellungen war immer die mächtige, von Schlingpflanzen überwucherte Mauer, in die das kleine Bronzetor eingelassen war.
Nach einer Weile, als die Tage des Wachseins in ihrer grauen Gleichförmigkeit kaum mehr zu ertragen waren, schwebte ich oft im Opiumfrieden durch das Tal und die verschatteten Haine und fragte mich, wie ich sie zum ewigen Wohnort gewinnen konnte, damit ich nicht mehr in eine stumpfsinnige Welt zurückzukriechen brauchte, die jedes Interesse und jeder neuen Farbe bar war. Und als ich auf die kleine Pforte in der mächtigen Mauer blickte, fühlte ich, daß hinter ihr ein Traumland lag, aus dem es, sobald man es betreten hatte, keine Rückkehr mehr gab.
So suchte ich jede Nacht im Schlaf den verborgenen Riegel zu dem Tor in der efeuüberwucherten alten Mauer zu finden, obwohl er außerordentlich geschickt versteckt war. Und ich redete mir ein, daß das Reich hinter der Mauer nicht nur von größerer Dauer sei, sondern auch lieblicher und prächtiger.
Und dann stieß ich eines Nachts in der Traumstadt Zakarion auf einen vergilbten Papyrus, beschriftet mit den Gedanken der Traumweisen, die seit alters her in der Stadt wohnten, und die zu weise waren, als daß sie je in die Wachwelt hineingeboren würden. Darin stand so manches über die Traumwelt
geschrieben, darunter auch die Sage von einem goldenen Tal und einem heiligen Hain mit Tempeln sowie einer hohen Mauer, die von einer kleinen Bronzepforte durchbrochen wurde. Als ich auf diese Sage stieß, erkannte ich, daß sie sich auf die Schauplätze bezog, die ich immer wieder aufgesucht hatte, und daher blieb ich lange an dem vergilbten Papyrus hängen. Einige der Traumweisen berichteten von den großartigen Wundern hinter der unpassierbaren Pforte, andere jedoch schrieben von Grauen und Enttäuschung. Ich war im Zweifel, wem ich Glauben schenken sollte, doch verlangte mich mehr und mehr, für allezeit in das unbekannte Land hinüberzuwechseln, denn Ungewißheit und Geheimnistuerei sind die Essenz aller Verlockungen, und kein neues Grauen kann entsetzlicher sein als die alltägliche Folter des Gewöhnlichen. Als ich daher von dem Rauschmittel erfuhr, welches das Tor öffnen und mich einlassen konnte, beschloß ich, dieses Mittel einzunehmen, wenn ich das nächste Mal erwachte.
Letzte Nacht schluckte ich das Mittel und entschwebte träumend in das goldene Tal und die verschatteten Haine. Und als ich diesmal zu der uralten Mauer kam, erkannte ich, daß die kleine Bronzepforte offenstand. Von Ferne drang ein Schein heran, der auf unheimliche Weise die riesigen knorrigen Bäume und die Spitzen der versunkenen Tempel beleuchtete. Ich schwebte freudig weiter, in Erwartung der Pracht des Landes, aus dem ich nie mehr zurückkehren würde.
Als sich die Pforte jedoch weiter öffnete und die Zauberkraft aus Rauschmittel und Traum mich hindurchdrängte, erkannte ich, daß es zu Ende war mit dem Einblick und der Pracht, denn weder Land noch Meer gab es in dem neuen Reich, sondern nur unbewohnten und unermeßlichen Weltraum in seiner weißen Leere. Und auf diese Weise, glücklicher als ich je zu hoffen gewagt hatte, löste ich mich wieder in die ursprünglich angeborene Unendlichkeit kristallischer Auslöschung auf, aus der mich der Dämon Leben für eine kurze und leidvolle Stunde abberufen hatte.
Was der Mond bringt
Ich hasse den Mond - ich fürchte ihn -, denn wenn er auf bestimmte vertraute und geliebte Szenerien herabscheint, verwandelt er sie manchmal in etwas Unvertrautes und Entsetzliches.
In jenem geisterharten Sommer schien der Mond auf den alten Garten herab, in dem ich umherging, dem geisterhaften Sommer betäubend duftender Blumen und feuchter Meere von
Laubwerk, der wilde und vielfarbene Träume bringt. Und als ich den seichten Kristallfluß
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