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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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Die Nachtschicht ging an jenem Abend nicht an die Arbeit.
    Um zwei Uhr morgens begann auf dem Berg ein einsamer Coyote erbärmlich zu heulen. Von irgendwo innerhalb des Werkes bellte ein Hund zur Antwort, entweder als Reaktion auf den Coyoten - oder auf jemand anderen. Ein Sturm braute sich um die Gipfel der Bergkette zusammen, und unheimlich geformte Wolken zogen schaurig über den verwischten Fleck himmlischen Lichts, das die Versuche eines auf beiden Seiten konvexen Mondes markierte, die vielen Dunstschichten der Schleierwolken zu durchdringen. Romeros Stimme, die aus der Schlafstatt über mir kam, weckte mich, eine Stimme, die vor einer vagen Erwartung, die ich nicht verstehen konnte, erregt und angespannt war; »jMadre de Dios! - El sonido - ese sonido -
    ¡ orga Vd!
    (¡ lo oyte Vd? ¡ Senor, dieser klang!.
    Ich lauschte und fragte mich, welchen Klang er meinte. Der Coyote, der Hund, der Sturm, sie alle waren zu hören. Lezterer gewann nun die Oberhand, denn der Wind kreischte immer heftiger.
    Aufzuckende Blitze waren durch das Fenster der Unterkunft zu sehen. Ich befragte den nervösen Mexikaner und führte die Geräusche an, die ich gehört hatte:
    »(el coyote? - el perro? - el viento?.
    Romero antwortete jedoch nicht. Dann fing er an, voll ehrfürchtiger Scheu zu flüstern:
    »¡ E1 ritmo,Senorelritmo de latierradieses pochen tief im boden!«
    Und jetzt hörte ich es ebenfalls, hörte es und erzitterte, ohne zu wissen, warum. Tief, tief unten war ein Klang - ein Rhythmus, genau wie es der Peon gesagt hatte -, der, wiewohl außergewöhnlich schwach, doch selbst den Hund, den Coyoten und den zunehmenden Sturm übertönte. Ihn beschreiben zu wollen wäre sinnlos - ein rhythmischer Klang jenseits jeglicher Beschreibung.
    Vielleicht glich er dem Pulsieren von Motoren tief unten im Rumpf eines großen Linienschiffs, wie man es vom Deck aus spürt, doch klang es nicht so mechanisch, nicht so lebensfremd und bewußtlos.
    Von allen Eigenschaften der Erde beeindruckte mich Ferne am meisten. Bruchstücke einer Stelle aus Joseph Glanvil, die Poe mit ungeheurer Wirkung zitiert hat, drängten sich in meinen Sinn.
    »- die Großartigkeit, Unermeßlichkeit und Unerforschlichkeit seiner Werke, welche eine Tiefe in sich haben, die großartiger ist als der Brunnen des Demokritos.«
    Plötzlich sprang Romero aus seiner Koje und stand vor mir, um den seltsamen Ring auf meiner Hand anzustarren, der bei jedem Blitzschlag merkwürdig glitzerte, und blickte dann gespannt in Richtung Bergwerksschacht. Ich erhob mich ebenfalls. Wir standen eine Zeitlang bewegungslos da und lauschten angestrengt, als der unheimliche Rhythmus immer lebhafter wurde. Dann begannen wir uns, anscheinend unwillentlich, auf die Tür zu zu bewegen, in deren Rütteln im Sturm eine irdische Realität sich tröstlich andeutete. Der eintönige Singsang in der Tiefe - denn so hörte sich der Klang jetzt an - nahm an Stärke und Deutlichkeit zu, und uns zwang eine unwiderstehliche Macht dazu, in den Sturm hinaus und zu der klaffenden Schwärze des Schachtes zu gehen.
    Uns begegnete kein Lebewesen, denn die Männer der
    Nachtschicht waren vom Dienst freigestellt worden und hielten sich zweifellos in der Siedlung Dry Gulch auf, wo sie einem schläfrigen Bartender die Ohren mit unheimlichen Gerüchten vollsangen. In der Hütte des Wachtpostens jedoch glänzte ein kleines Quadrat gelben Lichts wie ein Wächterauge. Ich fragte mich unwillkürlich, wie das rhythmische Geräusch auf den Wachtposten gewirkt hatte, aber Romero schritt jetzt schneller aus, und ich folgte ihm, ohne innezuhalten.
    Als wir in den Schacht hinabstiegen, wurde der Klang von unten unzweifelhaft deutlicher. Mir kam er so entsetzlich vor wie eine Art orientalischer Zeremonie, bei der Trommeln geschlagen wurden und viele Stimmen einen Singsang anstimmten. Ich habe, wie Sie ja wissen, lange Zeit in Indien verbracht.
    Romero und ich bewegten uns, ohne zu zögern, durch Stollen und über abwärts führende Leitern, immer auf das Wesen zu, das uns anzog, doch ständig erfüllt von einer erbärmlich hilflosen Furcht und Abneigung. Einmal glaubte ich fast, verrückt geworden zu sein - und zwar, als ich überlegte, wodurch unser Weg ohne Lampe oder Kerze erhellt wurde, und merkte, daß der uralte Ring an meinem Finger mit unheimlichen Strahlen glühte und durch die feuchte, schwere Luft um uns einen bleichen Lichtschein verströmte.
    Nachdem wir eine der vielen breiten Leitern hinabgeklettert waren, begann

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