Azazel
beide kannten und in der den ganzen Tag lang eine Happy Hour auf die nächste folgt. Ich konnte es kaum erwarten, ich mußte einfach eine Erklärung von ihm haben.
Vor allem wollte ich wissen, was die Kraftausdrücke bedeuten sollten, mit denen er den Taxifahrer bedacht hatte. - Nein, mein alter Freund, ich meine nicht die Bedeutung, die im Wörterbuch steht, wenn man sie überhaupt in einem Wörterbuch findet. Ich meinte, warum er diese Worte benutzt hat. Schließlich hätte er über alle Maßen glücklich sein müssen.
Als er die Bar betrat, sah er jedenfalls nicht sonderlich glücklich aus. Er machte sogar einen ziemlich abgehärmten Eindruck.
Er sagte: »Gib doch bitte mal der Kellnerin ein Zeichen, George.«
Wir befanden uns in einer jener Bars, in der sich die Kellnerinnen nicht allzu warm anziehen, und das wiederum hielt mich warm. Es war mir eine Freude, einer von ihnen ein Zeichen zu geben, obwohl ich wußte, daß sie meine Gesten lediglich als Bestellung eines neuen Getränkes deuten würde.
In Wirklichkeit geschah nichts dergleichen, denn sie ignorierte mich, indem sie mir ihren überaus nackten Rücken zugewandt hielt.
Ich sagte: »Tja, Mordecai, wenn du etwas bestellen willst, dann mußt du schon selber winken. Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit haben sich meiner noch nicht erbarmt. Und das ist eine Schande, denn es wird langsam Zeit, daß mein reicher Onkel stirbt und seinen Sohn zu meinen Gunsten enterbt.«
»Du hast einen reichen Onkel?« fragte Mordecai mit einem Hauch von Interesse.
»Nein! Und das macht die ganze Sache noch ungerechter. Gib doch bitte der Kellnerin ein Zeichen, Mordecai.«
»Zum Teufel damit«, sagte Mordecai mürrisch. »Laß sie warten.«
Natürlich kümmerte es mich nicht, daß sie wartete, aber meine Neugier war stärker als mein Durst.
»Mordecai«, sagte ich, »du machst einen unglücklichen Eindruck. Übrigens habe ich dich heute morgen gesehen, auch wenn es dir nicht aufgefallen ist. Du hast ein leeres Taxi ignoriert, an einem Tag, an dem man sie in Gold aufwiegen kann, und dann hast du lauthals geflucht, als du in das nächste eingestiegen bist.«
Mordecai sagte: »Tatsächlich? Nun, ich habe die Nase voll von diesen Dreckskarren. Taxis verfolgen mich. Sie fahren in langen Schlangen hinter mir her. Sobald ich auch nur einen Blick auf die Straße werfe, hält eines von ihnen an. Ich werde von Schwärmen von Kellnern bedrängt. Ladenbesitzer öffnen geschlossene Läden, wenn ich in ihre Nähe komme. Sobald ich ein Gebäude betrete, reißt jeder Fahrstuhl seine Türen weit auf, und auf jedem Stockwerk wartet einer beharrlich auf mich. In jedem nur denkbaren Büro werde ich auf der Stelle von Horden lächelnder Empfangsdamen durch das Vorzimmer gewunken. Niedere Funktionäre auf jeder Regierungsebene betrachten es als ihre Lebensaufgabe ...«
Endlich hatte ich mich wieder gefangen. »Aber Mordecai«, sagte ich, »was für ein unerhörtes Glück. Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit .«
Sein Vorschlag, was ich mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit tun sollte, war natürlich vollkommen undurchführbar, da es sich dabei um abstrakte Ideen handelt, die keine Körperteile besitzen.
»Aber Mordecai«, protestierte ich, »all das verschafft dir doch mehr Zeit zum Schreiben.«
»Eben nicht«, widersprach Mordecai energisch. »Ich kann überhaupt nicht mehr schreiben.«
»Warum denn nicht, um Himmels willen?«
»Weil ich keine Zeit mehr zum Nachdenken habe.«
»Was hast du nicht mehr?« fragte ich leise.
»All diese Warterei - in Schlangen, an Straßenecken, in Bürovorzimmern - habe ich genutzt, um nachzudenken, um mir zu überlegen, was ich schreiben will. Das war für mich die wichtigste Vorbereitungszeit.«
»Das habe ich nicht gewußt.«
»Ich auch nicht, aber jetzt weiß ich es.«
»Ich dachte, du verbringst diese Wartezeit damit, wütend vor dich hinzufluchen und dir die Haare zu raufen.«
»Zum Teil schon. In der restlichen Zeit habe ich nachgedacht. Und selbst die Zeit, die ich damit verbracht habe, über die Ungerechtigkeit des Universums zu schimpfen, war nicht vertan, denn sie hat mich auf Touren gebracht, bis mir die Hormone in den Adern brodelten. Und wenn ich mich dann endlich an meine Schreibmaschine setzen konnte, brachen all diese Ärgernisse aus mir heraus, und meine Finger hämmerten nur so auf die Tastatur ein. Die Gedanken, die ich mir gemacht hatte, lieferten mir die geistige Inspiration und mein Ärger die emotionale. Zusammen ergaben sie
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