Azazel
vorhergesagt. Dennoch war ich ein wenig beleidigt, als George meine Bemerkung vollkommen ignorierte.
Er sagte: »Ich mußte gerade an meinen Freund Septimus Johnson denken.«
»Warum?« fragte ich. »Was hat der denn damit zu tun, daß es wahrscheinlich schneien wird?«
»Er befindet sich am logischen Endpunkt einer Folge von Gedanken«, sagte George ernst. »Davon haben dir sicherlich schon andere Leute erzählt, auch wenn du so etwas selbst noch nie erlebt hast.«
Mein Freund Septimus [sagte George] war ein aufbrausender junger Mann, dessen Gesicht ständig einen finsteren Ausdruck zeigte und an dessen Oberarmen sich mächtige Muskelpakete wölbten. In seiner Familie war er das siebte Kind - daher der Name. Er hatte einen jüngeren Bruder, der Octavius hieß, und eine jüngere Schwester namens Nina. Ich weiß nicht, wie weit sich diese Ziffernfolge fortsetzte, aber es müssen die beengten Verhältnisse seiner Jugend gewesen sein, die in späteren Jahren dazu führten, daß er so merkwürdig versessen auf Stille und Einsamkeit war.
Als er erwachsen geworden war und mit seinen Romanen einen gewissen Erfolg errungen hatte (so wie du, mein alter Freund, nur daß die Kritiker sich über seine Werke hin und wieder recht lobend äußern), verfügte er schließlich über genügend Geld, um seinen absonderlichen Leidenschaften zu frönen. Kurz gesagt, er kaufte sich ein einsames Haus auf einem abgelegenen Stück Land im Norden des Staates New York und zog sich oft für kürzere oder längere Zeitspannen dorthin zurück, um seine Romane zu schreiben. Das Grundstück war nicht völlig von jeder Zivilisation abgeschnitten, aber doch zumindest von scheinbar unberührter Wildnis umgeben, soweit das Auge reichte.
Ich glaube, ich bin der einzige Mensch, den er jemals freiwillig zu einem Besuch auf seinem Landsitz eingeladen hat. Vermutlich fühlte er sich von der ruhigen Würde meines Benehmens und der faszinierenden Vielfalt meiner Unterhaltung angezogen. Er hat nie auch nur mit einem Sterbenswort erwähnt, was ihn an mir faszinierte, doch etwas anderes kann es wohl kaum gewesen sein.
Natürlich mußte man im Umgang mit ihm stets Vorsicht walten lassen. Jeder, der einmal den freundlichen Schlag auf den Rücken gespürt hat, mit dem Septimus Johnson seine Freunde so gern begrüßte, weiß, wie sich eine gebrochene Wirbelsäule anfühlt. Dennoch erwies sich sein beiläufiger Einsatz von Körperkraft bei unserer ersten Begegnung durchaus als nützlich.
Damals wurde ich von ein oder zwei Dutzend Rowdys bedroht, die meine vornehme Haltung und Erscheinung zu der Annahme verleitet hatten, ich würde unbeschreiblichen Reichtum in Form von Geld und Juwelen bei mir tragen. Ich wehrte mich verzweifelt, da ich an jenem Tag zufälligerweise nicht einen Cent in der Tasche hatte. Mir war bewußt, daß mich die Rowdys, wenn sie dies herausfänden, in ihrer Enttäuschung mit der größten Rohheit behandeln würden.
In diesem Augenblick erschien Septimus, der gerade über einen Text nachgrübelte, an dem er damals schrieb. Die Horde von Unholden war ihm im Weg, und da er zu sehr in Gedanken versunken war, als daß er ihnen hätte ausweichen können, ging er direkt durch sie hindurch und schleuderte sie geistesabwesend beiseite, zwei links, drei rechts. Als der Morgen dämmerte, stieß er schließlich am Grunde des Durcheinanders auf mich, und just in diesem Augenblick fiel ihm eine Lösung für das literarische Problem ein, über das er nachdachte - worum auch immer es sich dabei gehandelt haben mochte. Er betrachtete mich daher als Glücksbringer und lud mich zum Essen ein. Da ich eine Einladung zum Essen für einen noch viel größeren Glücksfall halte, habe ich angenommen.
Im Verlauf der Mahlzeit war er so meiner Anziehungskraft erlegen, daß er mich auf seinen Landsitz einlud. Solche Einladungen wiederholten sich oft. Einmal sagte er zu mir, daß er sich in meiner Gesellschaft beinahe so fühlte, als würde er alleine sein, und von jemandem, der die Einsamkeit so sehr liebte wie er, war das ganz offensichtlich ein großes Kompliment.
Eigentlich hatte ich eine armselige Hütte erwartet, doch weit gefehlt: Septimus hatte mit seinen Romanen eindeutig gut verdient und keine Kosten gescheut. (Ich weiß, es ist ein wenig unhöflich, in deiner Gegenwart von erfolgreichen Romanen zu sprechen, alter Freund, aber wie immer fühle ich mich den Tatsachen verpflichtet.)
Obwohl das Haus so einsam gelegen war, daß es mich dort stets ein wenig
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