Azazel
seitenweise hervorragender Texte, die aus den dunklen Höllenfeuern meiner Seele strömten. Und was ist mir davon geblieben? Schau doch!«
Er schnipste leise mit Daumen und Mittelfinger, und auf der Stelle war eine herrlich unbekleidete Dame zur Stelle und fragte: »Kann ich etwas für Sie tun?«
Natürlich konnte sie das, aber Mordecai bestellte einfach nur zwei Drinks für uns.
»Ich dachte«, sagte er, »ich müßte mich nur erst an die neue Situation gewöhnen, aber ich weiß jetzt, daß das unmöglich ist.«
»Du kannst dich einfach weigern, von der Situation Gebrauch zu machen.«
»Wirklich? Du hast mich heute morgen gesehen. Wenn ich ein Taxi ablehne, ist das nächste sofort zur Stelle. Ich kann das fünfzig Mal tun, und es wird noch ein einundfünfzigstes Taxi vor mir anhalten. Die machen mich fertig.«
»Nun, warum kannst du dich dann nicht einfach jeden Tag ein oder zwei Stunden gemütlich in dein Büro setzen und nachdenken?«
»Gemütlich in meinem Büro? Das ist es ja gerade! Ich kann nur nachdenken, wenn ich an einer Straßenecke von einem Fuß auf den anderen trete oder in einem zugigen Warteraum auf einem steinharten Stuhl sitze oder mit hungrigem Magen in einem Restaurant ohne einen Kellner weit und breit. Ich brauche die Energie der Empörung.«
»Aber bist du jetzt nicht auch empört?«
»Das ist nicht das gleiche. Man kann sich über eine Ungerechtigkeit aufregen, aber wie soll man sich darüber ärgern, daß alle so überaus nett und rücksichtsvoll sind -diese gefühllosen Scheusale! Im Augenblick bin ich nicht empört, ich bin lediglich traurig, und wenn ich traurig bin, kann ich nicht schreiben.«
Wir verbrachten die unglücklichste Happy Hour, die ich jemals erlebt habe.
»Ich schwöre dir, George«, sagte Mordecai, »jemand muß mich verflucht haben. Irgendeine böse Fee hat aus Wut darüber, daß sie nicht zu meiner Taufe eingeladen war, nach etwas gesucht, das noch schlimmer ist, als auf Schritt und Tritt Verzögerungen ertragen zu müssen. Und sie ist auf einen Fluch gestoßen, der bewirkt, daß einem jeder Wunsch auf der Stelle erfüllt wird.«
Angesichts seines Kummers stieg mir eine nicht unmännliche Träne ins Auge, besonders bei dem Gedanken, daß ich jene böse Fee war, von der er sprach, und daß er das auf irgendeine Weise herausfinden könnte. Schließlich mochte er sich in seiner Verzweiflung womöglich umbringen oder - was noch schlimmer wäre -mich.
Doch der schlimmste Schrecken erwartete mich noch. Als er nach der Rechnung verlangte und diese natürlich auf der Stelle erhalten hatte, musterte er sie mit trübem Blick, schob sie dann zu mir hinüber und sagte mit einem gequälten Lachen: »Hier, bezahl du. Ich gehe nach Hause.«
Ich habe die Rechnung bezahlt. Was blieb mir anderes übrig? Aber es hat eine Wunde gerissen, die ich an feuchten Tagen immer noch spüren kann. Hatte ich vielleicht die Lebensdauer der Sonne um zweieinhalb Millionen Jahre verringert, um meine Cocktailrechnung selbst zu bezahlen? Ist das Gerechtigkeit?
Ich habe Mordecai nie wieder gesehen. Wie ich später gehört habe, hat er das Land verlassen und arbeitet irgendwo in der Südsee als Strandgutsammler.
Ich weiß nicht genau, was die Aufgabe eines Strandgutsammlers ist, aber ich vermute, man wird nicht reich dabei. Eines weiß ich allerdings mit Sicherheit: Wenn er am Strand ist und sich nach einer Welle sehnt, wird sie nicht lange auf sich warten lassen.
In diesem Augenblick brachte uns ein grinsender Lakai die Rechnung und legte sie vor uns auf den Tisch. Wie üblich ging George über diese Geste hinweg, als hätte er sie nicht bemerkt.
Ich sagte: »Du hast doch nicht etwa vor, Azazel auch für mich etwas Gutes tun zu lassen, George?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte George. »Leider, mein alter Freund, bist du nicht gerade jemand, den man mit guten Taten bedenken möchte.«
»Dann wirst du also nichts für mich tun?«
»Nicht das geringste.«
»Gut«, sagte ich. »Dann bezahle ich die Rechnung.«
»Das ist das mindeste, was du tun kannst«, erwiderte George.
Winter ist so schön
George und ich saßen an einem Fensterplatz im La Boheme, einem französischen Restaurant, das er hin und wieder auf meine Kosten besuchte, und ich sagte: »Es wird wohl Schnee geben.«
Nun war das kein großer Beitrag zur Vermehrung des Wissens auf dieser Welt. Den ganzen Tag über war es dunkel und bedeckt gewesen, die Temperaturen lagen unter dem Nullpunkt, und der Wetterbericht hatte Schnee
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