Azazel
darin besteht, ganz Ohr zu sein und nicht ständig zu unterbrechen, schon gar nicht mit der fadenscheinigen Begründung, du hättest die Geschichte schon einmal gehört. Jedenfalls - Wie immer war Azazel wütend, daß ich ihn herbeigerufen hatte. Angeblich war er gerade mit etwas beschäftigt gewesen, das er ein heiliges religiöses Fest nannte. Ich konnte mich nur mit Mühe beherrschen. Er ist immer gerade mit etwas beschäftigt, das er für wichtig hält und kommt nie auf den Gedanken, daß ich ihn natürlich nur wegen etwas herbeirufe, das tatsächlich wichtig ist.
Ich wartete geduldig, bis sein zorniges Gezwitscher verstummte, und erklärte ihm dann die Situation.
Er hörte mir mit einem finsteren Ausdruck in seinem winzigen Gesicht zu und fragte schließlich: »Was ist Schnee?«
Ich seufzte und erklärte es ihm.
»Du meinst, hier fällt gefrorenes Wasser vom Himmel? Brocken gefrorenen Wassers? Und es gibt immer noch Leben auf dieser Welt?«
Ich beschloß, ihm nichts von Hagel zu erzählen, sondern sagte: »Es fällt in weichen, flaumigen Flocken, oh Mächtiger« - es besänftigt ihn immer, weißt du, wenn man ihn mit diesen blödsinnigen Namen anspricht -, »die allerdings Unannehmlichkeiten verursachen können, wenn sie in zu großen Mengen auftreten.«
Azazel sagte: »Wenn du mich darum bittest, das Wetter auf eurer Welt zu verändern, muß ich dies entschieden ablehnen. Das fiele unter die Kategorie planetarer Umgestaltung, und die widerspricht der Ethik meines überaus ethischen Volkes. Ich käme nicht im Traum auf die Idee, unethisch zu handeln, besonders da man mich -würde man mich dabei erwischen - an den gefürchteten Lamellvogel verfüttern würde, eine überaus gräßliche Kreatur mit schrecklichen Tischmanieren. Ich sage dir lieber nicht, aufweiche Weise er mich verspeisen würde.«
»Und ich käme nicht im Traum auf die Idee, dich darum zu bitten, unseren Planeten umzugestalten, oh Erhabener. Eigentlich hatte ich an etwas Einfacheres gedacht. - Weißt du, neuer Schnee ist so weich und flaumig, daß er das Gewicht eines Menschen nicht trägt.«
»Das liegt daran, daß ihr so massig seid«, sagte Azazel spöttisch.
»Zweifellos«, sagte ich, »aber diese Masse behindert das Laufen. Ich würde meinen Freund gern ein wenig leichter machen, wenn er sich auf Schnee befindet.«
Ich hatte einige Schwierigkeiten, Azazels Aufmerksamkeit zu fesseln. Er sagte nur immer wieder angewidert: »Gefrorenes Wasser - überall - begräbt das ganze Land unter sich.« Er schüttelte den Kopf, als sei ihm die Vorstellung vollkommen unbegreiflich.
»Kannst du meinen Freund leichter machen?« fragte ich, um wieder auf mein doch recht einfaches Anliegen zurückzukommen.
»Natürlich«, erwiderte Azazel entrüstet. »Ich müßte lediglich das Antigravitationsprinzip so anwenden, daß es unter bestimmten Bedingungen durch Wassermoleküle ausgelöst wird. Nicht einfach, aber machbar.«
»Warte«, sagte ich ein wenig beunruhigt, als ich daran dachte, was passieren könnte, wenn dieses Prinzip uneingeschränkt zum Einsatz kam. »Es wäre ratsam, meinem Freund die Kontrolle über die Stärke der Antigravitation zu geben. Hin und wieder mag er vielleicht doch einmal den Boden berühren wollen.«
»Ich soll den Mechanismus auch noch eurem groben Bewegungsapparat anpassen? Also wirklich! Deine Unverschämtheit kennt keine Grenzen.«
»Ich bitte ja nur darum«, sagte ich, »weil du es bist. Ich käme natürlich nie auf den Gedanken, einen anderen Vertreter deiner Spezies um so etwas Schwieriges zu bitten.«
Diese taktische Lüge zeigte die erwartete Wirkung. Azazel streckte seine Brust um zwei Millimeter heraus und sagte in einem gebieterischen, tiefen Quiekston: »So soll es geschehen.«
Ich nehme an, daß Septimus noch im selben Augenblick mit besagter Fähigkeit ausgestattet wurde, bin mir allerdings nicht ganz sicher. Denn damals war gerade August, und weit und breit lag kein Schnee, an dem man das hätte ausprobieren können. Ich war auch nicht in Stimmung für einen kurzen Ausflug in die Antarktis, nach Patagonien oder gar Grönland, nur um mir das nötige Material für mein Experiment zu beschaffen.
Zudem hatte es keinen Sinn, Septimus über die neue Situation aufzuklären - er hätte mir sowieso nicht geglaubt. Womöglich wäre er zu der lächerlichen Schlußfolgerung gelangt, daß ich - ich - betrunken sei.
Doch das Schicksal meinte es gut mit mir. Ende November befand ich mich gerade in Septimus' Landhaus
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