AZRAEL
Krankenwagen zurück. Er war plötzlich sehr zornig, vor allem auf sich selbst. Er hätte wissen müssen, daß es so oder so ähnlich enden würde - verdammt, er hatte es gewußt. Wieso hatte er es zugelassen? Mit einer viel zu heftigen Bewegung riß er die Türen auf und sprang in den Wagen hinein.
Auch die Innenbeleuchtung war ausgefallen, so daß er im ersten Moment kaum etwas sah. Immerhin erkannte er, daß Mark sich aufgerichtet hatte und vornübergesunken auf der Trage saß. Er stöhnte leise, hob aber den Kopf, als er Bremer bemerkte, und sah ihn an. »Was... was ist passiert?«
»Nichts«, antwortete Bremer hastig. »Ein kleiner Unfall, nichts Schlimmes. Ist Ihnen etwas passiert?«
Mark schüttelte den Kopf. Er versuchte aufzustehen, aber er war so schwach, daß es ihm ohne Bremers Hilfe nicht gelang. »Sind wir... da?« fragte er stockend.
»Ich glaube«, antwortete Bremer. Dann fügte er, hörbar (wenn auch gelogen) überzeugter hinzu: »Ja. Noch ein paar Schritte. Können Sie gehen?«
»Ja«, behauptete Mark. Es gelang ihm tatsächlich, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich zur Tür zu schleppen, aber nur, weil Bremer ihn dabei stützte. An der Tür angekommen, ergriff Bremer ihn kurzerhand unter den Armen und setzte ihn einen halben Meter tiefer wie ein Kind zu Boden. Mark stöhnte. Die Berührung mußte an seinem verletzten Arm höllische Schmerzen verursachen.
Bremer sprang hinter ihm aus dem Wagen, nahm kurz entschlossen seinen unverletzten Arm und legte ihn sich über Schultern und Nacken. Er hätte ihn getragen - der Junge war zwar groß, wog aber nicht besonders viel - und wäre auf diese Weise bestimmt schneller vorangekommen, aber er war ziemlich sicher, daß Marks Stolz das nicht zugelassen hätte, ganz gleich, wie elend er sich auch fühlte. So stützte er ihn, so gut er konnte, schlang den linken Arm um seine Hüfte und hakte die Finger unter seinen Gürtel, um auf diese Weise noch einen Teil seines Gewichts abzufangen.
Mark zitterte vor Anstrengu ng und Schmerz, als sie den zer trümmerten Mercedes umrundeten. Bremer sah, daß Sendig mittlerweile die Tür des Wagens geöffnet und den Bewußtlosen auf den Beifahrersitz verfrachtet hatte. Er fragte sich, warum, verschwendete aber keine Zeit auf diese Frage, sondern fuhr Sendig grob an: »Helfen Sie mir, verdammt noch mal!«
Sendig tauchte rückwärts wieder aus dem Wagen auf, aber er rührte keinen Finger, um Bremer zu helfen, sondern musterte nur Mark, auf eine Weise, die Bremer einen eisigen
Schauer über den Rücken jagte. »Wie fühlen Sie sich?« fragte er. »Geht es?«
»Das ist die dämlichste Frage des Tages«, sagte Bremer wütend. »Helfen Sie mir, zum Teufel! Sie sehen doch, daß er gleich zusammenbricht.«
»Das ist... nicht nötig«, sagte Mark schwach. »Wirklich, ich... ich fühle mich schon besser.«
Um seine Worte zu beweisen, nahm er die Hand von Bremers Schulter und versuchte, aus eigener Kraft zu stehen. Es gelang ihm nicht ganz; er mußte sich gegen den Kotflügel des Wagens lehnen, um nicht zu stürzen. Aber er hatte trotzdem recht - er war schon weitaus kräftiger als drinnen im Wagen, und Bremer konnte regelrecht sehen, wie er sich erholte. Es war das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, und diesmal wirkte es noch unheimlicher.
»He, was ist denn da los?« Der Pförtner kam mit weit ausgreifenden Schritten herangestürmt. Sein Gesicht war eine einzige Maske der Empörung. »Was treibt ihr denn da? Was ist los?«
Er blieb abrupt stehen, als er nahe genug war, um die beiden ineinander verkeilten Wagen richtig zu erkennen. Seine Augen weiteten sich. »Aber das... Was habt ihr denn nur gemacht?«
»Nichts«, antwortete Sendig. »Ein kleiner Unfall. Es ist alles in Ordnung, danke. Nichts passiert.«
»Nichts passiert?!« keuchte der Mann. Dann schlug der Ausdruck von Fassungslosigkeit auf seinen Zügen in jähes Erschrecken um. »He - ihr... ihr seid überhaupt keine Sanitäter. Hier stimmt doch was nicht!«
»Ich sagte doch, es ist alles in Ordnung«, wiederholte Sendig. Er wandte sich dem Mann vollends zu, und diesmal hielt seine Verkleidung nicht einmal mehr einem flüchtigen Blick stand. Unter der viel zu großen orangeroten Jacke sah die Hälfte seines Mantels hervor, und er hielt immer noch die Pistole in der linken Hand.
»Ihr... ihr seid gar keine Sanitäter!« wiederhol te der Pfört ner hysterisch. »Hier ist doch was faul. Ich... ich rufe die Polizei!«
»Tun Sie das«, riet ihm Sendig.
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